UrteileRassistischer Schulterschluss – Berliner Polizei und Justiz: Prozessbericht zum Verfahren gegen Opfer von Racial Profiling

4. November 2022by KOP Importer0

Am 18.10.2022 um 9 Uhr fand am Amtsgericht Tiergarten, Raum 671, das Verfahren gegen F. wegen unerlaubten Aufenthalts statt. Fest stand dabei bereits vor der Verhandlung: Die Anklage gegen F. ist völlig haltlos, der Straftatbestand des unerlaubten Aufenthalts ist in keiner Weise erfüllt und zu diesem Prozess hätte es niemals kommen dürfen. Folgerichtig wurde F. freigesprochen. Das Verfahren zeigte: Berliner Polizei und Justiz agieren im rassistischen Schulterschluss.

Hintergrund

Am 21.06.2022 (siehe auch KOP-Chronik) ist Herr F. gemeinsam mit einem Bekannten auf dem Weg zu einer Moschee in Berlin-Kreuzberg. In der Nähe des Görlitzer Parks werden sie von zwei Polizeibeamt*innen angehalten und aufgefordert, sich auszuweisen. F. fragt, warum andere Passant*innen nicht auch kontrolliert werden. Darauf gehen die Polizeibeamt*innen nicht ein. F. zeigt seinen Ausweis und legt auch ein Schreiben des Einwanderungsamts vor, in dem ihm ein Termin zur Verlängerungs seines abgelaufenen Aufenthaltstitels schriftlich bestätigt wird. In dem Schreiben ist auch vermerkt, dass sein Aufenthaltstitel bis zum gebuchten Termin als fortbestehend betrachtet wird. Die Polizeibeamt*innen ignorieren das Schreiben und behaupten, dass F. sich unerlaubt im Bundesgebiet aufhalte. Sie ziehen seine Papiere ein. Einer von ihnen sagt wahrheintswidrig, dass seine Ausweispapiere an das Einwanderungsamt weitergeleitet werden würden. Man fordert ihn auf, sich unverzüglich dort zu melden. Dann werden F. und sein Bekannter genötigt, mit auf die Polizeiwache zu kommen. Dort wird F. erkennungsdienstlich behandelt.  Als er später mit seiner Partnerin und den zwei kleinen Kindern zur Wache geht, um seine Dokumente zurückzuerhalten, eskaliert die Situation. Der Polizist lügt vor den Augen seines Sohnes und zahlreicher Wartender, dass sein Führungszeugnis voller Drogendelikte sei (später stellt sich heraus, dass das Führungszeugnis keinerlei Einträge enthält). F. wird rassistisch schickaniert und kriminalisiert. Kurze Zeit darauf erhält er einen Strafbefehl wegen unerlaubten Aufenthalts; gegen diesen erhebt er fristgerecht Einspruch. In seiner mündlichen Verhandlung am 18.10.2022 halten sowohl Strafverteidigerin als auch Staatsanwältin die Vorwürfe gegen F. für haltlos und F. wird freigesprochen.

Versagen der Justiz unter den Teppich gekehrt

Sichtbar zog sich durch das Verfahren vor allem das Zusammenspiel von rassistischer Polizeigewalt und rassistischer Repression durch die Justiz. Am Anfang stand die rassistische Polizeikontrolle im Görlitzer Park – keine anderen Passant*innen, insbesondere keine weißen Passant*innen – wurden kontrolliert. Sowohl die Kontrolle an sich, als auch die darauf folgende Einbehaltung der Ausweisdokumente, die rassistischen und haltlosen Vermerke über eine angebliche, schlicht erlogene, Drogenvergangenheit von F., stellen eindeutig dar, wie rassistisch die Polizei durch die verschiedenen Stationen ihres Handelns hinweg agiert und immer wieder Gewalt gegen BPoC ausübt. Weniger sichtbar ist dabei in der Regel, dass auch die Justiz diese rassistische Gewalt eigenständig vorantreibt. Von vorneherein war klar: Der Strafbefehl gegen F. war völlig haltlos. Selbst die zugeteilte Richterin im Saal am 18.10.2022 war sichtlich verwirrt von den Umständen, die zu diesem Prozesstag geführt haben. Schließlich besaß F. eine fortbestehende Aufenthaltsberechtigung. Selbst wenn er diese nicht besessen hätte, wären die sonstigen Voraussetzungen für das Vorliegen eines unerlaubten Aufenthalts nach § 95 Abs.1 Nr.2 AufhG gar nicht erfüllt gewesen. Dennoch kam es zu einem Prozess, der für F. und seine Familie erheblichen psychischen Stress bedeutet und ein Vertrauen in einen funktionsfähigen Rechtsstaat erheblich erschwert.

Fortgesetzt hat sich die rassistische Handhabung der Justiz darin, dass die Richterin es versäumt hat Stellung zu beziehen. Selbst als die Strafverteidigerin explizit erwähnte, dass es sich bei der Kontrolle um Racial Profiling gehandelt hat und es zu diesem Prozess gar nicht hätte kommen dürfen, hat sie es nicht geschafft, das rassistische Verhalten der Polizei in irgendeiner Weise anzuerkennen, oder zu benennen.

Auch wie es dazu kommen konnte, dass trotz haltlosem Vorwurf ein Strafbefehl richterlich erlassen wurde, ließ sie in der gesamten Sitzung außer Acht. Stattdessen lenkte sie vom behördlichen Versagen ab, sowohl dem der Polizei als auch ihrer eigenen Behörde. Sie ignorierte die von F. geschilderten Schikanen der Polizei oder redete sie klein. Und am Ende richtete sie auch noch tadelnde Worte an F., er hätte auf einen Anhörungsbogen nicht reagiert, und damit quasi selbst Schuld, dass es zu einem gerichtlichen Verfahren gekommen sei.

Den eigentlichen Skandal, nämlich das Versagen ihrer eigenen Kammer, kehrte sie so gekonnt unter den Teppich.

Diese Einschätzung bestätigt Biplab Basu: „Herr Fofana wurde aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Das ist ein sehr erfreuliches und gutes Urteil. Aber anders hätte die Richterin wegen der eindeutigen Beweislage auch nicht urteilen können. Ihr sehr knapp gehaltenes  Urteil zeigt jedoch klar ihre Ignoranz und ihr Nicht-Verstehen der eindeutig rassistischen Ermittlungen der Polizei, der entsprechend rassistischen Anklage und des erstellten Strafbefehls, der von ihrer Kollegin unterzeichnet wurde. Damit unterschlägt das Urteil den rassistischen Charakter des gesamten Verfahrens.“

Weitere Berichterstattung:
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1167777.rassismus-in-der-justiz-unschuldig-verurteilt.html
https://taz.de/Racial-Profiling-im-Goerlitzer-Park/!5885773/

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