Am vergangen Samstag, den 20.05.2023, wurde eine von jüdischen Aktivist*innen organisierte Nakba-Gedenkkundgebung am Oranienplatz brutal von der Polizei gespalten und zerschlagen. Diese Veranstaltung war eine der wenigen, die nicht bereits im Vorfeld verboten wurden: Die meisten Nakba-Gedenkveranstaltungen wurden unter rassistischen Argumentationen von „muslimisch geprägten Personenkreisen“ aus der „libanesischen, türkischen sowie syrischen Diaspora“, die als „Klientel“ mit „deutlich aggressiver Grundhaltung“ bekannt seien, pauschal als „gewaltbereit“ dargestellt, kriminalisiert und verboten (https://twitter.com/BartalYossi/status/1659254238889779202).
Die Ereignisse der Kundgebung am 20.05.2023 reihten sich in diese gewaltvolle pauschale Stigmatisierung ein. Trotz friedlicher Demonstration entschied sich die Polizei, die Kundgebung gewaltsam zu spalten: Sie griff die Demonstrierenden an und verbreitete das rassistische und vollkommen falsche Narrativ, die Demo sei von palästinensischen Demonstrant*innen gestört worden. Auch die Organisator*innen der Demo betonten im Nachgang immer wieder, dass es keine Störung von Seiten der Demonstrierenden gab: Jüdische und palästinensische Aktivist*innen protestierten friedlich gemeinsam. Die einzige Störung kam durch die Polizei, die aktiv rassistische Stigmata schürte und dabei auf palästinensische, jüdische und andere Demonstrant*innen gleichermaßen losging, selbst, als diese die Demo friedlich verlassen wollten. Mindestens 15 Personen wurden festgenommen. Die Bilder von friedlichen, jüdischen Demonstrant*innen, die von der deutschen Polizei angegriffen, niedergeknüppelt und festgenommen werden, zeigen auch, wie fadenscheinig die Behauptungen sind, es ginge dem deutschen Staat bei der Kriminalisierung von Palästina-Solidarität in irgend einer Weise um den Kampf gegen Antisemitismus. Hingegen senden sie eine klare Nachricht: Jedes Gedenken an die Nakba, jede noch so friedliche Demo in Solidarität mit Palästinenser*innen soll auf Deutschlands Straßen sanktioniert werden.
Diese Gewalt an und Kriminalisierung von Palästina-solidarischen Menschen ist nicht neu. Angesichts der aktuellen Gewaltexzesse der Polizei finden wir es dennoch wichtig, uns klar und deutlich zu positionieren und alle anderen linken Gruppen – gerade auch die, die bisher geschwiegen haben – dazu aufzufordern, sich öffentlich und unmissverständlich mit den Betroffenen zu solidarisieren und die Kriminalisierung pro-palästinensischer Gruppen als das zu benennen, was es ist: Rassistische Gewalt.
Wir solidarisieren uns mit allen Betroffenen rassistischer Polizeigewalt im Rahmen der Kriminalisierung von pro-palästinensischen Stimmen.
Meldet euch gerne bei uns für Beratung!
Der nachfolgende Text wurde bereits im Voraus zu der brutal von der Polizei niedergeschlagenen Demo am Samstag von Aktivist*innen der KOP geschrieben, nun aber durch die Ereignisse des letzten Wochenendes ergänzt.
Die Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt ist seit über 20 Jahren aktiv im Kampf gegen Rassismus durch staatliche Stellen, ob Polizei, Justiz oder andere Behörden. Die Verfolgung migrantischer Communities war dabei von Anfang an ein zentrales Thema unserer Arbeit. Egal ob es um die Verfolgung von Sinti*zze und Rom*nja, die Kriminalisierung von Vietnames*innen (https://taz.de/Falschaussagen-halfen-nichts-Pruegelpolizisten-verurteilt/!1346354/) oder die rassistische Stigmatisierung unter dem Deckmantel der „Bekämpfung von Clankriminalität“ (https://www.cilip.de/2022/09/02/mythos-clankriminalitaet/) geht, wir wissen, dass die Verfolgung politischer Bewegungen migrantischer Communities einen zentralen Teil der rassistischen Polizeipraxis ausmacht. Diese orientiert sich in der Regel an globalpolitischen Interessen der Bundesrepublik. Die rassistische Gewalt gegen Kurd*innen und die Verbotspolitik gegen kurdische Gruppen als „terroristische Vereinigungen“ hängen mit den Beziehungen der Bundesrepublik zum NATO-Partner Türkei und dem Interesse an Absatzmärkten für in Deutschland hergestellte Kriegswaffen zusammen, genauso wie GIZ-Programme in Ägypten oder Kooperationsprogramme mit der „libyschen Küstenwache“ der Bekämpfung und Entrechtung von Migrant*innen dienen. Koloniale Kontinuitäten, die NS-Geschichte und der eliminatorische Antisemitismus und Militarismus prägen die Gesetze und Politiken der Bundesrepublik, und deutsche Sicherheitsbehörden sind Teil einer Struktur von brutaler Unterdrückung und kolonialer Kontrolle. Polizeigewalt kann nicht durch isolierte Betrachtung zahlreicher „Einzelfälle“ und Gewalt einzelner Polizist*innen verstanden werden, sondern es muss der strukturelle Zusammenhang zwischen Polizeigewalt auf Demos oder an sogenannten „kriminalitätsbelasteten Orten“, deutscher Beteiligung an FRONTEX-Pushbacks, „Ausbildungsmissionen“ in Mali, „Sondereinsätzen“ in Afghanistan und Finanzierung des sudanesischen Paramilitärs zur Migrationsbekämpfung gesehen werden.
Phrasen von Rechtsstaatlichkeit, „westlichen“ Werten und Frauenrechten sollen die imperialistische Gewaltherrschaft legitimieren. Für den deutschen Staat ist es kein Widerspruch, Menschen ins Gefängnis zu stecken und ihre Vereine zu verbieten, sie zu verprügeln, zu töten und abzuschieben, und gleichzeitig ohne mit der Wimper zu zucken „europäische“ Werte zu propagieren und sich mit dem angeblichen Einsatz für globale Menschenrechte und einer feministischen Außenpolitik zu schmücken. Um dem entgegenzutreten, müssen wir den liberalen Antirassismus entlarven, dem sich Politiker*innen bedienen, wenn sie morgens auf Socialmedia unter dem Hashtag „George Floyd“ bedauernde Tweets posten, mittags Polizeirazzien in Shishabars begrüßen und abends die neue Diversity-Politik der Berliner Polizei feiern. Antirassistische Aktivist*innen müssen sich daher klar an die Seite der Betroffenen stellen und nicht nur gegenüber offensichtlicher physischer Gewalt einzelner Polizist*innen Solidarität zeigen, sondern auch im Kampf gegen strukturelle Gewalttätigkeit und koloniale Unterdrückung.
Nun hat sich aber in Berlin und dem Rest der Bundesrepublik in den letzten 30 Jahren ein Verständnis von Antirassismus durchgesetzt, dass manche als „progressive except for Palestine“ bezeichnen. Wir haben uns in der Vergangenheit zu den Angriffen auf die palästinensische Community insbesondere in Berlin immer wieder klar positioniert. Auch in diesem Jahr hat die Berliner Polizei wieder mit offenkundig rassistischen und antimuslimischen Argumentationen Demonstrationen und Kundgebungen in Solidarität mit dem Freiheitskampf der Palästinenser*innen in Berlin verboten (https://www.berlin.de/polizei/polizeimeldungen/2023/pressemitteilung.1314118.php; https://twitter.com/BartalYossi/status/1659254238889779202/photo/1). Hier spiegelt sich ein Muster rassistischer Kriminalisierung wieder, das wir auch aus anderen Zusammenhängen kennen: Eine Gemeinschaft von tausenden Menschen wird pauschal als Bedrohung gebrandmarkt und unter Generalverdacht gestellt, eine Gruppe gewalttätiger Antisemit*innen zu sein. Menschen wird das Recht auf Versammlungsfreiheit pauschal und umfassend entzogen. Verhältnismäßigkeit spielt keine Rolle mehr, demokratische Rechte werden ausgehebelt und eine heterogene Gemeinschaft wird aufgrund rassistischer Zuschreibungen in Sippenhaft genommen (https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/staatsrechtler-das-verbot-der-palaestinademos-pervertiert-versammlungsfreiheit-li.227922).
Wir halten nicht viel von der Polizei, aber wer nur die Polizei kritisiert, ohne die Justiz als Teil des Problems zu benennen, macht es sich zu einfach. Denn die Polizei setzt nur Interessen des Berliner Innensenats um: Jegliche pro-palästinensische Demos sollen auf Berlins Straßen unterbunden werden, egal wie sie sich im Einzelnen politisch positionieren (https://taz.de/Palaestinensische-Demos-in-Berlin/!5926408/). Auch die Gerichte tragen mit, dass allein das Thema Palästina reicht um ein von der Verfassung garantiertes Grundrecht auszuhebeln, im letzten Urteil wurde der rassistisch motivierte Generalverdachte vom OVG bestätigt (https://www.berlin.de/gerichte/oberverwaltungsgericht/presse/pressemitteilungen/2023/pressemitteilung.1326563.php; https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2023/05/berlin-ovg-demonstration-verboten-nakba-neukoelln.html). Wir wissen aus der Vergangenheit, wie das in der Praxis aussieht: Menschen, die von der Berliner Polizei beim Racial Profiling „arabisch“-palästinensisch geprofiled werden, wurden festgehalten, wenn sie sich Orten wie dem Hermannplatz auch nur näherten. De facto galt ein Verbot jeglicher Symbole, die einen Bezug zu Palästina hatten. Uns erreichten viele Anfragen von Menschen, die Gewalt erlebten, mit fadenscheinigen Vorwürfen überzogen wurden und sich einem Verfahren ausgesetzt sahen, in dem sie von vornherein stigmatisiert und kriminalisiert wurden.
Dies knüpft an die Repression in anderen Bereichen an: Auch die Medien haben einen Anteil an der Verfolgung von Menschen, die in der Öffentlichkeit aktiv sind: Nemi El-Hassan (www.berliner-zeitung.de/wochenende/nemi-el-hassan-ich-weigere-mich-meine-palaestinensische-identitaet-zu-leugnen-li.192159) und Matondo Castlo (www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/kika-moderator-matondo-castlo-meine-reputation-wurde-mit-fuessen-getreten-li.316328) sind die jüngsten Beispiele einer ganzen Reihe von Persönlichkeiten, die Ziel dieser Hetzkampagnen wurden. Ihr Eintreten für die Rechte der Palästinenser*innen und ihre Kritik am Apartheidsystem Israels führte dazu, dass pauschale Anschuldigungen und Unterstellungen ausreichten, um sie öffentlich als Antisemit*innen zu brandmarken und persönlich zu diffamieren. Kaum ein Medium machte sich dabei die Mühe, sie selbst mal zu Wort kommen zu lassen, geschweige denn die absurden Anschuldigungen zu überprüfen und in einen größeren Kontext zu setzen.
Auch die Berichterstattung zur Polizeigewalt am Samstag ist nicht nur ungenau, sondern schlichtweg falsch: Der Tagesschau-Titel „palästinensische Pro-Nakba-Demo“ (das würde bedeuten, Demo FÜR die Ermordung und Vertreibung von Palästinenser*innen: https://www.tagesschau.de/inland/regional/berlin/rbb-juedische-pro-nakba-demo-nach-zwischenfaellen-aufgeloest-100.html) bringt das Maß an absoluter Uninformiertheit und Falschbehauptungen in der deutschen Medienlandschaft auf den Punkt, die zu großen Teilen weder die Begriffe „Intifada“ oder „Nakba“, noch die Slogans „Free Palestine“ oder „From the river to the sea“ korrekt übersetzen oder kontextualisieren kann oder will, aber gleichzeitig mit pauschalen Antisemitismusvorwürfen jede noch so berechtigte Kritik an Siedlerkolonialismus und ethnischen Säuberungen diskreditiert.
Von vermeintlichen Antirassist*innen
Auch die KOP wird seit Jahren von Antideutschen „Antifas“ als Gruppierung mit Nähe zu angeblich antisemitischen Akteur*innen geführt. Eine Neuköllner Anti-D-Gruppe schreibt etwa: „Aber nicht nur das Bündnis gegen Rassismus, auch die anderen am Festival beteiligten Gruppen wie die KOP, der Migrationsrat Berlin-Brandenburg, ReachOut u.v.m., schließen diese antisemitischen Akteur*innen nicht nur nicht aus, sondern geben ihnen vielmehr eine Plattform.“
Dass die absurde Antisemitismus-Definition nur dem Zweck dient, Jüd*innen für das eigene moralische Überlegenheitsgefühl zu instrumentalisieren und gleichzeitig seinen antimuslimischen, antiarabischen Rassismus auszuleben, ohne sich mit politischen Tatsachen, antikolonialer und antiimperilistischer Kritik auseinandersetzen zu müssen, haben schon andere vor uns treffend analysiert. Daher fassen wir uns kurz: Wir werden uns von rassistischen Scheinlinken keiner Gesinnungskontrolle unterziehen lassen, um in irgendwelchen weißen linken Szeneorten Zutritt zu bekommen und wir werden uns von niemandem distanzieren, um eure Unbedenklichkeitsbescheinigung erteilt zu bekommen. Mehrheitlich weiße Gruppen haben lange genug die Berliner linke und antifaschistische Szene dominiert!
In Neukölln sind diese Gruppen an Bedeutungslosigkeit kaum zu übertreffen. Leider ist es aber so, dass die Netzwerke dieser weißen Aktivist*innen in viele Institutionen hineinreichen, in Berlin in staatlich finanzierte „Antirassismus“-Projekte und Anlaufstellen. Mit ihrem völlig überheblichen Definitionsanspruch von Antisemitismus sitzen sie in Machtpositionen, und vor allem in einem Bereich in dem es um die Unterstützung von Menschen, die von rechtsextremer und rassistischer Gewalt betroffen sind, ist dies fatal. Denn die Kriminalisierung von pro-palästinensischen Stimmen führt unmittelbar zu Gewalt: zu Angriffen durch Polizeibeamte (https://perspektive-online.net/2022/10/berliner-gericht-verurteilt-erneut-opfer-von-polizeigewalt/), zu Stigmatisierung in Schulen und Bildungsinstitutionen, zu Ausschlüssen von Veranstaltungsorten und zur Bloßstellung in der Öffentlichkeit oder dem Verlust von Jobs (https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchenbdskampagnebundesverwaltungsgericht-leipzig-urteil-1.5511733). Es gibt Fälle von Menschen palästinensischer Abstammung, die im Rahmen des Einbürgerungsprozesses gezwungen werden, sich entsprechend der pro-israelischen Staatsräson zu positionieren, andernfalls wird ihnen die Staatsangehörigkeit verweigert (https://twitter.com/hahauenstein/status/1647193542891036672).
Solidarität ist eine Waffe!
Um es deutlich zu machen: Wir stellen uns klar gegen Rassismus und Antisemitismus. Uns liegt es fern, Antisemitismus in der Bundesrepublik klein zu reden. Aber wir wehren uns dagegen, fragwürdige Definitionen mitzutragen, die bewusst darauf abzielen, eine Kritik an ethnischen Säuberungen, Siedlerkolonialismus und Apartheidpolitik gegen Palästinenser*innen pauschal als Antisemitismus in Verruf zu bringen und berechtigte Kritik von Betroffenen und solidarischen Menschen unmöglich zu machen. Was hier als Kampf gegen Antisemitismus verkauft wird, ist nicht mehr als der Versuch, weiße Vorherrschaft und rassistische Strukturen zu schützen.
Die Menschen, die bei KOP aktiv sind, haben keine einheitliche Meinung in allen Aspekten. Wir halten Widersprüche aus und sehen es als unsere Stärke, ein Spektrum an Positionen zusammen zu bringen. Bei den Angriffen auf pro-palästinensische Gruppen steht jedoch außer Frage, dass wir uns als antirassistische Gruppe mit den Betroffenen solidarisieren. Wir stehen als Organisation für ein Ende der rassistischen Kriminalisierungspolitik und für breite Bündnisse gegen die Gewalt durch staatliche Institutionen. Leider stoßen wir immer wieder auf geschlossene Türen und Anfeindungen, wenn wir uns klar antirassistisch positionieren. Bedauerlicherweise auch in Kontexten, die einen antirassistischen Selbstanspruch haben. Wir sind es aber auch leid, dass ein großer Teil, der sich als antifaschistisch und antirassistisch verstehenden Berliner Szene, das Thema ausblendet oder meidet. Wir richten diesen Appell also auch an diejenigen, die es sich bisher aus ihrer privilegierten Position einfach gemacht haben, die sich nicht positionieren, weil sie „sich mit dem Thema noch nicht beschäftigt haben“, weil es „so kompliziert“ sei, oder die sich andere Ausreden einfallen lassen, wenn es darauf ankommt, sich klar antirassistisch zu positionieren. “If you are neutral in situations of injustice, you have chosen the side of the oppressor.“ (Desmond Tutu)
KOP Berlin, 25. Mai 2023
Verfassungsblog. Und dann kommt die Polizei.
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