MenschenrechtePressemitteilung der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt zum Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Basu v. Germany (Racial Profiling)

19. Oktober 2022by KOP Importer0

Pressemitteilung zum Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Basu v. Germany (Racial Profiling)
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Berlin, den 18.10.2022: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat heute in einem bahnbrechenden Urteil anerkannt, dass die Bundesregierung das Europäische Diskriminierungsverbot verletzt hat. Das Gericht hatte Vorwürfe zu Racial Profiling geprüft: Biplab Basu hatte der Bundespolizei vorgeworfen, ihn und seine Tochter im Zug rassistisch kontrolliert zu haben.

Rassistische Identitätskontrolle im Zug

Im Juli 2012 wurden Biplab Basu und seine Tochter im Zug auf dem Weg von Prag nach Dresden von Bundespolizisten kontrolliert. Sie waren die Einzigen, die von der Polizei in Grenznähe nach Ihren Ausweisen gefragt wurden. Alle anderen Fahrgäste im Waggon waren weiß. Als Biplab Basu einen der Beamten nach dem Grund der Kontrolle fragte, antwortete dieser, es handele sich um eine Stichproben-Kontrolle gegen „illegale Einwanderung“, die verhindert werden solle. Ob es einen Zusammenhang zwischen ihrer Stichprobe und Biplab Basu’s Hautfarbe gäbe, verneinte der Polizist. Vielmehr würde man grenzüberschreitende Schmuggelkriminalität bekämpfen. Biplab Basu und seine Tochter hatten keinerlei Anlass gegeben, für Kriminelle gehalten zu werden.
Biplab Basu und seine Tochter wurden von den Bundespolizisten aus rassistischen Gründen kontrolliert und kriminalisiert. Gesetzliche Grundlagen wie §23 Abs. 1 Nr. 3 Bundespolizeigesetz für sogenannte „verdachtsunabhängige“ Personenkontrollen dienen dazu, Racial Profiling und rassistische Grenzkontrollen per Gesetz zu ermöglichen. Polizeibeamt*innen und Justiz stützen sich bei Klagen wegen Racial Profiling an Grenzübergängen auf diesen Paragraphen und legitimieren damit angewendete Gewalt. Diese rassistische Praxis ist für die Betroffenen Alltag in Deutschland.

Biplab Basu hatte sich bereits 2013 mit seiner Berliner Rechtsanwältin Prof. Dr. Maren Burkhardt an das Verwaltungsgericht Dresden gewandt, das prüfen sollte, ob die Identitätsfeststellung gegen ihn und seine Tochter diskriminierend gewesen sei. Das Verwaltungsgericht hörte keine Zeug*innen, sondern berief sich ausschließlich auf Einlassungen der Bundespolizeidirektion Dresden selbst. Diese hatte behauptet, dass sie den Vorwurf intern geprüft hätten und – wie nicht anders zu erwarten war – die Identitätskontrolle legal und legitim gewesen sei. Dem folgte das Gericht und lehnte die Klage ab. Grund für die Klageabweisung war eigentlich, dass gesagt wurde, dass kein tiefgreifender Grundrechtseingriff bestand und kein Rehabilitationsinteresse gegeben war. Dies sind die im Rahmen des Feststellungsinteresses geforderten Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Klage. In der Folge hat das Gericht sich mit materiellrechtlichen Fragen gar nicht mehr auseinandergesetzt. Rassismus spielte zu keiner Zeit eine Rolle.

„Ich bedauerte, dass das Gericht in Dresden die Kontrolle verharmlost und nicht erkannt hat, dass Racial Profiling durch die Staatsgewalt als solches für die Kontrollierten, wenn auch nicht physische jedoch psychische Gewalt darstellt.“, so Basu.

Erstes Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu Racial Profiling in Deutschland

Biplab Basu wandte sich an den EGMR. In einem bahnbrechenden Urteil erkannte der Gerichtshof heute für Recht*, dass die Bundesregierung die rassistische Diskriminierung von Biplab Basu nicht ausreichend geprüft hat. Der EGMR stellte eine Verletzung des Diskriminierungsverbots nach Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention fest.

In der Entscheidung heißt es, dass Identitätsfeststellungen nicht immer einen gravierenden Grundrechtsverstoß darstellten. Der öffentliche Charakter der Kontrolle und der Fakt, dass von Seiten der Polizei nicht widerlegt werden konnte, dass die Kontrolle wegen der Hautfarbe durchgeführt wurde, führe im vorliegenden Fall dazu, dass Art. 14 betroffen sei.

Zudem stellte der Gerichtshof fest, dass es den Behörden obliegt, alle verfügbaren Maßnahmen zu treffen, um aufzuklären, ob einer Identitätskontrolle rassistische Motive zugrunde liegen. Dies sei vorwiegend nicht der Fall gewesen: So könne nicht von unabhängigen Ermittlungen gesprochen werden, wenn Gerichte sich auf Erkenntnisse einer Polizeidirektion stütze, die als Arbeitgeberin des Polizisten, der Biplab Basu kontrolliert hatte, fungierte. In dem Urteil heißt es: „In Anbetracht der hierarchischen und institutionellen Verbindungen zwischen der Ermittlungsbehörde und dem Staatsbediensteten, der die fragliche Handlung vorgenommen hat, können die diesbezüglichen Ermittlungen jedoch nicht als unabhängig angesehen werden.“ (Pkt. 36 des Urteils) Dem Dresdener Verwaltungsgericht wirft der EGMR zudem vor, es versäumt zu haben „die erforderlichen Beweise zu erheben und insbesondere die Zeugen zu hören, die bei der Personenkontrolle anwesend waren.“ (Pkt. 37 des Urteils) Zusammenfassend kommt das Gericht daher zu dem Schluss, „dass die staatlichen Behörden ihrer Pflicht nicht nachgekommen sind, alle angemessenen Maßnahmen zu ergreifen, um durch eine unabhängige Stelle festzustellen, ob bei der Identitätskontrolle eine diskriminierende Haltung eine Rolle gespielt hat oder nicht, und somit keine wirksame Untersuchung in dieser Hinsicht durchgeführt haben.“  (Pkt. 38 des Urteils)

Biplab Basu: „Freude über das Urteil! Aber: Der EGMR hat nicht geprüft, ob eine rassistische Diskriminierung tatsächlich vorliegt. Das Gericht hat lediglich anerkannt, dass Deutschland den Vorwurf nicht ausreichend geprüft hat. Durch ihre Verleumdungs-Politik ermöglichen deutsche Polizeibehörden Racial Profiling. Schade, dass wir so lange (9 Jahre) warten müssen, damit Racial Profiling überhaupt gerichtlich überprüft wird.“

Prof. Dr. Maren Burkhardt: „Eine richtungsweisende Entscheidung, die in Zukunft einerseits die bisherige Praxis der Gerichte, Klagen wegen diskriminierender polizeilicher Maßnahmen bereits in der Zulässigkeit mit dem Hinweis einer geringfügigen Grundrechtseinschränkung abzuweisen. Zudem erlegt die Entscheidung Polizei und Gerichten nun eine umfassende Pflicht zu Ermittlung und Darlegung der Vorfälle auf. Bedauerlich ist, dass § 23 Abs.1 Nr. 3 Bundespolizeigesetz, der gegen Art. 20, 21 des Schengen Vertrages verstößt, weiterhin als Gesetz anwendbar ist. Allerdings gibt es dazu bereits  Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes, welche die Rechtswidrigkeit der Norm bestätigen.“

Heute wurde auch das Urteil** durch das EGMR bezüglich der Klage von Muhammad Zeshan gegen Spanien veröffentlicht: Wir sind enttäuscht, dass die Klage eines ähnlich gelagerten Falls heute durch das EGMR abgewiesen und somit Racial Profiling nicht anerkannt wurde mit der Begründung, dass Spanien ausreichenden Schutz vor rassistischer Gewalt bieten würde, was keineswegs zutrifft. Er genießt unsere volle Solidarität.

‚*Urteil BASU v. GERMANY:
https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-220007

** Urteil CASE OF MUHAMMAD v. SPAIN:
https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-219984

Kontakt:
Biplab Basu
0179 544 17 90
kop_biplab.basu@posteo.de

Maren Burkhardt
maren.burkhardt@hs-hannover.de

Pressespiegel

https://www.deutschlandfunk.de/egmr-racial-profiling-in-deutschland-dlf-8a706530-100.html
https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/egmr-21519-deutschland-hat-vorwurf-racial-profiling-nicht-genug-untersucht-polizeikontrolle/
https://www.berliner-zeitung.de/news/eu-gericht-deutschland-hat-racial-profiling-vorwurf-nicht-genug-geprueft-li.275527
https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/egmr-deutschland-hat-racial-profiling-vorwurf-nicht-genug-geprueft

 

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