Racial ProfilingAnhörung im Innenausschuss des Berliner Senats zum Thema polizeilicher Übergriffe auf Migrant_innen

24. Oktober 2005by KOP Importer0


Einleitung

KOP war im Oktober 2005 neben „amnesty international“ und „Aktion Courage“ eingeladen, im Berliner Abgeordnetenhaus zum Thema polizeilicher Übergriffe auf Migrant_innen zu berichten. Im Rahmen eines Vortrags analysierten wir die strukturelle Einbettung rassistisch motivierter Polizeigewalt und den sich ergebenen Forderungen.

Vortrag

Sehr geehrte Damen und Herren,

das Opferberatungsprojekt ‚Reach Out’ hat es sich zur Aufgabe gemacht, gesellschaftliche Verhältnisse zu schaffen, in denen alle Menschen, unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihrer politischen, religiösen oder sexuellen Orientierung, ihrer Herkunft etc. gleich behandelt werden und gleiche Chancen für den Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen erhalten. Oberste Priorität ist hierbei die Verwirklichung und der Schutz der Menschenrechte.

Gerichtet sind die Angebote des Projektes konkret an die Menschen der Stadt Berlin, die Opfer rechtsextremistischer, rassistischer und antisemitischer Gewalt  geworden sind.

Seit der Gründung des Projektes im Jahr 2001 haben uns immer wieder auch Menschen aufgesucht, die Opfer rassistischer Polizeigewalt geworden sind. Polizeigewalt impliziert hierbei diskriminierende Behandlung, körperliche Misshandlung und unterlassene Hilfeleistung. Dabei war eines auffällig: die meisten von Ihnen nahmen unsere Beratung erst in Anspruch, nachdem sie eine Anzeige von Seiten der Polizei wegen „Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte“, „Beleidigung“ oder „Körperverletzung“ bekommen haben.

Dabei ist davon auszugehen, dass viele Betroffene von rassistischer Polizeigewalt weder zu einer Beratung wie der unserigen kommen, noch eine Strafanzeige erstatten. Die Gründe dafür sind vielschichtig. An dieser Stelle möchte ich nur den Charakter der Normalität ansprechen, den diskriminierende Behandlung für die Betroffenen hat oder das hohe Risiko einer Veröffentlichung erwähnen, vor dem die Opfer zurückschrecken. Wir gehen deshalb tendenziell von einer zahlenmäßigen Unterschätzung der Fälle aus. (Wie sie wissen haben wir in der Chronik rassistisch motivierter Polizeiübergriffe 35 Fälle von 2000- 2005 dokumentiert.)

Seit 2003 arbeitet „KOP – der Rechtshilfefond“ nun im Auftrag der Betroffenen. Neben unserer eigenen Beratungstätigkeit vermitteln und organisieren wir Möglichkeiten der rechtlichen Beratung, damit die Betroffenen in die Lage versetzt werden, sich gegen die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu wehren. Wir dokumentieren alle Fälle (wie sie sicher gelesen haben) hinsichtlich des Ausgangsvorfalls, des straf- und zivilrechtlichen Verlaufes und der rassistischen Motivation. Dabei wird deutlich, dass die Betroffenen wegen einigender Merkmale wie „ethnische Herkunft“, „Sprache“ und „Hautfarbe“ für die BeamtInnen „auffällig“ und tatverdächtig geworden sind. Darüber hinaus müssen wir feststellen, dass keine oder nur geringe Anlässe zu überzogenen Maßnahmen seitens der Polizei geführt haben, in deren Folge die Betroffenen zu Unrecht beschuldigt, misshandelt, inhaftiert und gedemütigt wurden.

Als ein grundsätzliches Problem im Zusammenhang mit den benannten Anlässen stellt nach unserem Dafürhalten die Definition der so genannten „gefährlichen Orte“ dar, an denen jeder „ohne Ansehen der Person“ anlass- und verdachtsunabhängig durch die Polizei kontrolliert werden darf. Die BeamtInnen müssen sich zu den einzelnen Gründen der Personenkontrolle nicht äußern, ein Umstand, der eigentlich rechtsstaatlich verbindliche Prinzipien außer Kraft setzt.

Nun ist es aber tatsächlich nicht so, dass jeder „ohne Ansehen der Person“ eine Kontrolle zu erwarten hätte. Ich möchte das kurz erklären: wie schon erwähnt, liegt es in der Kompetenz der Polizei einen „gefährlichen Ort“ zu definieren. In der Regel beruht diese Definition auf der Zuschreibung eines bestimmten und hohen Kriminalitätsaufkommens an einem Ort in Berlin. Ein bestimmtes Delikt wird also als besonders gefährlich und bekämpfenswert eingestuft. Nun ist es in der Regel so, dass spezielle Arten von Kriminalität bestimmten Gruppen mit bestimmten Merkmalen zugeordnet werden (beispielsweise werden in der Hasenheide vornehmlich Menschen mit dunkler Hautfarbe kontrolliert, da man ihnen Verstöße gegen das Betäubungmittelschutzgesetz unterstellt). Es findet also eine Ethnisierung von Kriminalität statt. Die Folge dieses rassistischen Verdachtsrasters ist, dass vermeintliche Mitglieder der „verdächtigen“ Gruppe kontrolliert werden.

Die „gefährlichen Orte“ sind der Öffentlichkeit (mit einigen Ausnahmen durch Bemühungen der Presse) nicht bekannt. Auch nicht den potenziell Verdächtigen. Damit entsteht immer wieder folgende Situation: Ein vermeintliches Mitglied einer verdächtigen Gruppe, beispielsweise ein Mann kubanischer Herkunft um die 30 Jahre alt, wird im Görlitzer Park, der als „gefährlicher Ort“ definiert ist, kontrolliert. Nun fragt der die BeamtInnen nach dem Grund für die Kontrolle. Diese antworten ihm mit der Begründung, dass der Görlitzer Park ein „gefährlicher Ort“ ist. Vielleicht antworten sie ihm auch gar nicht. Fragt der Mann nun nochmals nach, fühlt er sich vielleicht zu Unrecht dieser polizeilichen Maßnahme unterzogen, geraten die BeamtInnen in Rechtfertigungsnot. Schließlich wissen sie ja, dass sie gerade jemanden „nach dem Ansehen der Person“ kontrollieren. Sie fühlen sich durch das Nachfragen ertappt und gleichzeitig unter Druck, ihre rassistische Kontrolle und deren Anweisung zu verteidigen. Und genau an diesem Punkt kommt es nach unserer Erfahrung zum Einsatz unverhältnismäßiger Maßnahmen (Fesselung, Verbringung auf ein Polizeirevier zur erkennungsdienstlichen Behandlung, übermäßige Gewaltanwendung, Einschließung uä.).

Hinsichtlich der Bewertung dieser Praxis stellen wir uns ängstlich die Frage, für welche Art von Kriminalität (anders gefragt: für wie viel Gramm Haschisch) fundamentale Bürgerrechte außer Kraft gesetzt werden und wen diese Außerkraftsetzung trifft. Wir müssen polemisch fragen: gelten Bürgerrechte denn nicht für AusländerInnen oder andere Minderheitenangehörige? Wir können erschreckenderweise genauso wie die Betroffenen keine eindeutige Antwort auf diese Frage finden.

Es könnten an dieser Stelle noch weitere Problempunkte vor dem Hintergrund polizeilicher Praxis benannt werden (Entstehungszusammenhang der Polizeilichen Kriminalstatistik), aber aufgrund des zeitlichen Rahmens möchte ich mich auf die Darlegung nur noch eines dringenden Problems beschränken: die Anzeigepraxis der Polizei und die damit einhergehenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen.

Die Erfahrung unserer Praxis zeigt, dass die von rassistischer Polizeigewalt Betroffenen durch die Polizei durch Anzeigen wegen „Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte“, „Beleidigung“ oder gar „Körperverletzung“ belastet werden. Die Häufigkeit dieser Praxis hat aus unserer Sicht musterhaften Charakter.

Es stellt sich die Frage, welchen Tathandlungen diese Anzeigen folgen. Nach den Berichten der Betroffenen lag deren „Widerstand“ im Hinterfragen einer Personenkontrolle oder in der Weigerung, einer unverhältnismäßigen, diskriminierenden, polizeilichen Behandlung nachzukommen (Fesselung, Verbringen auf eine Dienstwache etc.). Wir sind der Meinung, dass die PolizeibeamtInnen durchaus über ein Unrechtsbewusstsein verfügen. Sie wissen, wenn sie unverhältnismäßig agieren. Uns drängt sich der Eindruck auf, dass die BeamtInnen aus Angst vor einer Dienstaufsichtsbeschwerde oder einer Anzeige präventiv eine Anzeige gegen die Betroffenen stellen. Zur Legitimation ihres Handelns.

Kommt es nun zu Ermittlungen gegen die Betroffenen wird schnell ein Verfahren eingeleitet, an dessen Ende in der Regel eine Verurteilung oder eine Einstellung aus Opportunitätsgründen, d.h. wegen Geringfügigkeit z. B. gegen Zahlung einer Geldauflage steht. Entschließt sich ein Betroffener/ eine Betroffene entgegen aller Schwierigkeiten (geringe Erfolgsaussichten, Belastungen eines Verfahrens, finanzielle Einbußen) einen Polizeibeamten/ eine Polizeibeamtin wegen „Körperverletzung im Amt“, „Beleidigung“ oder „Nötigung“ anzuzeigen, ergibt der Ermittlungscharakter ein anderes Bild. Hier haben wir es mit langen Ermittlungszeiten zu tun, an deren Ende in der Regel eine Einstellung steht. In den wenigen Fällen, wo es zu Prozessen kommt, werden die BeamtInnen freigesprochen oder das Verfahren wird hier eingestellt. Uns ist ein Fall bekannt, bei dem vorgeladene PolizeibeamtInnen gar nicht erst zum Prozesstermin erschienen sind und das Verfahren trotzdem eingestellt wurde (nachzulesen ist der Fall auf Seite 13f. in der Chronik). Eine Anwältin kommt denn angesichts dieser Praxis auch zu dem Schluss, dass die justizielle Bearbeitung von Anzeigen gegen PolizeibeamtInnen einen Beitrag zu deren Straflosigkeit leistet und eher zu einer unverhältnismäßigen Gewaltanwendung ermutigt, als das Gegenteil zu erwirken. Diesem Urteil können wir uns rückhaltlos anschließen.

(Zur Behandlung von Anzeigen gegen PolizeibeamtInnen durch die Staatsanwaltschaft ist ein Text von Tobias Singelnstein, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fachbereichs Rechtswissenschaften der FU Berlin auf unserer Internetseite www.kop-berlin.de verfügbar.)

Am Ende dieser Stellungnahme und in Konsequenz der angesprochenen Probleme ergeben sich aus unserer Sicht folgende Forderungen:

  • Abschaffung aller bürgerrechts- und rechtstaatsfreien Räume. Wir schlagen vor, das Instrument der „anlass- und verdachtsunabhängigen Kontrolle“ aus der Hand der Polizei zu nehmen. Wir gehen davon aus, dass dann auch die Zahl der rassistisch motivierten Übergriffe zurückgehen würde (schließlich wären die BeamtInnen nicht mehr zur Personenkontrolle nach fragwürdigem Verdachtsraster angewiesen).
  • Rückhaltlose Aufklärung rassistisch motivierter Polizeiübergriffe/ Transparenz der Ermittlungen. Eine Relativierung hinsichtlich der Anzahl der Vorfälle ist völlig unangebracht. Schließlich ist die Polizei eine besondere Organisation, deren Mitglieder staatlicherseits ermächtigt sind, Waffen zu tragen und diese auch einzusetzen. Allein aus diesem Aspekt erklärt sich schon der Gedanke, dass die Arbeit der Organisation kontrolliert und gegebenenfalls sanktioniert werden muss.
  • Und wie hat es ein Betroffener so treffend formuliert: ein Vorfall rassistischer Polizeigewalt ist wie ein Flugzeugabsturz- einer zuviel.

Hier gibt es das Wortprotokoll. Wortprotokoll InnSichO 15 / 67

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *