Potsdam, den 23.11.2012
OFFENER BRIEF DER FLÜCHTLINGSINITIATIVE BRANDENbURG
Kontrollen der Bundespolizei in Eisenhüttenstadt auf Basis von ‚racial profiling‘- Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention durch Behinderung des Zugangs zur
Asylantragstellung
Sehr geehrter Herr Borgert,
am 19. November tagte der Flüchtlingsrat Brandenburg im Evangelischen Gemeindezentrum Eisenhüttenstadt, das nahe der Brandenburgischen Erstaufnahmestelle für Asylbewerber liegt. Dafür sind etwa 30 VertreterInnen von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, Beratungsstellen und politischen Initiativen aus verschieden Orten Brandenburgs angereist. Zwei von ihnen wurden unmittelbar vor dem Veranstaltungsort in der Nähe der ZABH von Bundespolizisten kontrolliert. Es waren die einzigen schwarzen Teilnehmer unserer Sitzung. Dies war eine verdachtsunabhängige Kontrolle nach dem Muster des racial profiling. Solche Kontrollen finden nicht nur in Eisenhüttenstadt und im sonstigen Grenzgebiet zu Polen statt,es gibt sie auch in Zügen und auf Bahnhöfen im übrigen Brandenburg und im ganzen Bundesgebiet.
Das jüngste Urteil des Koblenzer Oberverwaltungsgerichtes in dieser Sache stellt übrigens klar, dass Kontrollen von Personen aufgrund ihrer Hautfarbe gegen das Diskriminierungsverbot im Grundgesetz verstoßen (Beschluss vom 29. Oktober 2012, Aktenzeichen: 7 A 10532/12.OVG Rheinland-Pfalz).
In Eisenhüttenstadt haben solche Kontrollen über die rassistische Diskriminierung hinaus weitreichende Konsequenzen. Es liegt in der Natur der Sache, dass viele Flüchtlinge, die neu angekommen und auf dem Weg zur Asylantragstellung sind, keine gültigen Aufenthaltspapiere haben. Mit diesen Personenkontrollen werden sie vom Zugang zur Aufnahmestelle ferngehalten und – so ist zu befürchten – direkt in die Abschiebehaftanstalt verbracht. Diese Behinderung des freien Zugangs zur Asylantragstellung stellt einen eklatanten Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention dar!
Bereits 2010 haben sich VertreterInnen des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg, des Jesuiten Flüchtlingsdienst, des Flüchtlingsrats Brandenburg und der UNHCR-Vertretung für Deutschland an Sie gewandt und darum gebeten, auf der Strecke vom Bahnhof zur Erstaufnahmeeinrichtung derartige Personenkontrollen zu unterlassen und so den freien Zugang zur Asylantragstellung zu gewährleisten. Das wurde zugesagt und eine Weile hatte sich die Situation tatsächlich verbessert.
Wir fordern Sie hiermit auf, die damals gemachten Zusagen weiterhin einzuhalten undderartige Kontrollen einzustellen und den freien Zugang von Bahnhof Eisenhüttenstadt zur Aufnahmestelle zu gewährleisten!
Mit freundlichen Grüßen,
Dorothea Lindenberg,
Flüchtlingsrat Brandenburg (Kopie zur Kenntnisnahme an Innenminister Dietmar Woidke)
22. November 2012
ANTWORT BUNDESPOLIZEI
Sehr geehrte Frau Lindeberg,
ich habe Ihren Brief erhalten und möchte mich für Ihre offenen Worte bedanken und hiermit Stellung zu den von Ihnen gemachten Ausführungen nehmen.
Der Gesetzgeber hat der Bundespolizei u.a. die Befugnisnorm zur Durchführung lagebildabhängiger Befragungen in Verbindungen mit Identitäsfeststellungen übertragen. Die Befugnisnorm wird seit vielen jahren erfolgreich angewandt und dient dem Ziel der Verhinderung unerlaubter Einreisen und der Bekämpfung der Schleuserkriminalität. Diese stichprobenartigen Befragungen und Kontrollen werden in Zügen, auf Bahnhöfen, im Grenzgebiet und auf Flughäfen in Deutschland auf Basis grenzpolizeilicher Lageerkenntnisse anlassbezogen angewandt. Als Kriterium zur Auswahl der zu kontrollierenden Personen dienen die aktuellen Lageerkenntnisse, Erfahrungswerte, Verhalten von Personen, deren Kleidung, mitgeführtes Gepäck, Ort und Zeit sowie äußere Erscheinungsmerkmale.
Die Anwendung der entsprechenden Befugnisse des Bundespolizeigesetzes ist Grundlage, um dem Phänomen der unerlaubten Einreise entgegentreten zu können und Schleusungsstrukturen zu erkennen. In der Vergangenheit konnte die Bundespolizei dadurch eine erhebliche Anzahl von Straftaten aufdecken und verhindern.
Die Zentrale Ausländerbehörde in Eisenhüttenstadt liegt unmittelbar im Grenzgebiet, d.h. in dem der Bundespolizei gesetzlich zugewiesenen 30km Bereich. In der Vergangenheit wurden auch Straftaten der unerlaubten Einreise und des unerlaubten Aufenthalts in Bereich Eisenhüttenstadt festgestellt.
Natürlich kennen auch meine Mitarbeiter die aktuelle Rechtsprechung des Koblenzer Verwaltungsgerichtes. Demnach müssen die Beamten bei den Kontrollen grenzpolizeiliche Erfahrungen zugrunde legen. Das Erscheinungsbild der zu kontrollierenden Personen kann als weiteres Kriterium zur Entscheidung über eine Kontrollmaßnahme beitragen.
Gleichwohl tut es mir Leid, wenn sich die Personen aufgrund der Kontrollmaßnahmen der Bundespolizei diskriminiert fühlten. Das kann und ist nicht das Ziel einer solchen Maßnahme. Sie werden mir sicherlich zustimmen, dass jede polizeiliche Kontrolle eine vorerst unangenehme Situation für den Betroffenen ist. Kontrollen wie sie durch die Bundespolizei durchgeführt werden, dienen nur dem Zweck Straftaten zu verhindern oder zu unterbinden, um damit das Sicherheitsgefühl unserer Bürger zu stärken und das natürölich auch nur nach den entsprechenden gesetzlichen Vorrraussetzungen.
Ich werde Ihren Brief dennoch zum Anlass nehmen um das Gespräch mit meinen Mitarbeitern zu suchen und diese erneut zu diesem Thema zu sensibilisieren. Für weitere Fragen und Probleme bin ich weiterhin gern Ansprechpartner für Sie.
Borgert (AZ LB C/ÖA-18 13 00)
Anmerkungen FLÜCHTLINGSINITIATIVE BRANDENBURG
[A]m 23.11. 2012 beschwerten wir uns in einem Offenen Brief bei der Bundespolizei über verdachtsunabhängige Personenkontrollen in Eisenhüttenstadt nach dem Prinzip des Racial Profilings. Zwei Mitglieder des Flüchtlingsrates waren vor einer Flüchtlingsratssitzung im Gemeindehaus von Eisenhüttenstadt kontrolliert worden. Das einzige, was sie von allen anderen unterschied, war ihre Hautfarbe. (…)
[Aus der] Antwort vom Dienststellenleiter, Herrn Borgert, (…) geht hervor, dass die Bundespolizei es, insbesondere innerhalb der 30 km Zone, also in Grenznähe, weiterhin als legitim betrachtet, nicht-deutsch-aussehende Menschen zu kontrollieren, um „unerlaubten Einreisen“ festzustellen. (Wie aus ihrer Antwort auf eineKleine Anfrage <http://www.ulla-jelpke.de/news_detail.php?newsid=2520> zu ‚racial profiling‘ hervorgeht, sieht die Bundesregierung das genauso).
Dazu gibt es folgendes anzumerken:
Racial profiling‘ ist mehr als – wie auch Herr Borgert zugibt – eine „unangenehme Situation für die Betroffenen“, durch die sie sich bedauerlicherweise „diskriminiert fühlen“. Racial profiling ist eine Diskriminierung, die eine ganze Personengruppe aufgrund von „äußeren Erscheinungsmerkmalen“ kriminalisiert.
*Insofern kann die Umsetzung des Koblenzer Urteils nur bedeuten, diese sogenannten verdachtsunabhängigen Kontrollen der Bundespolizei generell abzuschaffen.*
Eisenhüttenstadt liegt in der 30-km-Zone. Hier befindet sich die Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende und hier bedeuten solche Kontrollen die Behinderung des freien Zugang zur Erstaufnahme und damit zur Asylantragsstellung.
*Wenn sich die Bundespolizei nicht bereit erklärt, den freien Zugangs zum Asylverfahren zu gewährleisten, stellt dies den Standort Eisenhüttenstadt für die Erstaufnahme für Asylsuchende grundsätzlich in Frage.*
Kontakt:
info@fluechtlingsrat-brandenburg.de
weitere Infos:
www.fluechtlingsrat-brandenburg.de