1964 sprach Malcom X in seiner „message to the grassroots“: stellt euch vor, ihr wärt beim Zahnarzt. Der Zahnarzt will dich behandeln und du hast Angst. Du kämpfst gegen seinen Eingriff. Er beruhigt Dich und gibt Dir eine Betäubung. Gegen die Schmerzen. Die Behandlung erfolgt, du hast keine Schmerzen. Du leidest friedlich. Du siehst das Blut rinnen, aber du weißt nicht was passiert. Weil Dir jemand beigebracht hat friedlich zu leiden.
Wir haben ein Problem und das Problem ist Rassismus. Und wir leiden darunter. Aber gegen unseren Schmerz haben Andere für uns Lösungen gefunden. Friedlich. Diese Lösungen hören auf die Namen „Integration“, „Interkultureller Dialog“ oder „ethnische Vielfalt“.
Nun ist Rassismus aber eine Ideologie, ein Konstrukt; und trotzdem ist er keine akademisch/wissenschaftliche Hypothese. Das reale gesellschaftliche Leben wird durch Rassismus organisiert. Das gemeine Mitglied der Gesellschaft fügt sich – gewollt/ungewollt, bewusst/unbewusst in das organisierte Leben. Dabei hilft sein rassistisches Wissen ihm einige Ungereimtheiten, einige Lücken, einige allzu menschliche Zweifel an die gesellschaftlichen Missstände zu überwinden.
Was also tun? Rassismus umgehen? Rassismus übersehen? Nein, die Organisierung der gesellschaftlichen Ordnung ist zweckmäßig für diejenigen, deren Privilegien es zu schützen gilt. Und das funktioniert auch über rassistische Argumente, die sich institutionell verankern, hier formuliert sind und so ihre Wirkung entfalten.
Rassismus ist nur institutionell und kann auch nur in dieser Form vorhanden sein.
Rassismus hat immer mit Diskriminierung, Ausbeutung und Ausschluss zu tun. Darin unterscheidet er sich von individuellen rassistischen Einstellungen, die ich kurz beschreiben will.
Individueller Rassismus
Das einfache Mitglied einer Gesellschaft kann zwar rassistische Vorurteile und auch Meinungen pflegen bzw. auch in seinem Alltag rassistisch handeln; auch wir – die unmittelbar vom Rassismus betroffenen und benachteiligten Mitglieder der Gesellschaft – hegen rassistisches Gedankengut. Aber all das bleibt von weniger Belang, solange dieses Gedankengut nicht in institutioneller Form – also in Form von Handlungsinstrumenten- an uns weiter getragen wird.
Nehmen wir das 15. Jhd., als Columbus‘ auf die Karibischen Inseln traf. Für die dortige Bevölkerung waren seine rassistischen Einstellungen zuerst unerheblich. Erst als sich die spanische Königin entschieden hatte die karibische Bevölkerung für ihren Reichtum auszubeuten, Columbus eine entsprechende Strategie entwickelte und die Entmenschlichung der karibischen Bevölkerung strategisch notwendig wurde, erst da übernahm der spanische Rassismus die Kontrolle über das gesellschaftliche Leben der dortigen Bevölkerung.
Marx erklärte es so: „Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, d.h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht.“
Erinnern wir uns: den Pogromen Anfang der 90er Jahre gingen verschiedene Äußerungen politisch Verantwortlicher voran. Die einzelnen diffamierenden Bemerkungen, begleitet durch asyl- und migrationspolitische Überlegungen der Regierung, wirkten dann als Auslöser für Mölln, Solingen, Rostock, Hoyerswerda etc.
Auch fungieren die öffentlich bekundeten Einstellungen der Herrschenden als Anweisungen/konkrete Vorschläge an ausführende Institutionen, womit ich dann zur Beschreibung des institutionellen Rassismus, seines Werdegangs und seiner Funktionsweise komme.
Institutioneller Rassismus
Alle wissen, dass in einer bestimmten Epoche die europäische, amerikanische, also weiße Wissenschaft, sich sehr intensiv damit beschäftigt hat, durch vermeintlich wissenschaftliche Konzepte ein bestimmtes Gedankengut gesellschaftlich zu etablieren. Das zeichnete sich aus durch die Bestimmung menschlicher Gruppenkategorien, der Hierarchisierung dieser Gruppen und damit verbunden der Zuschreibung bestimmter Eigenschaften, bestimmter Fähigkeiten/Unfähigkeiten.
Damit haben die Herrschenden, egal ob Monarchen oder gewählte Parlamentarier, ihre rassistische Organisationsstruktur „Ausbeutung-Diskriminierung-Dämonisierung“ begründet
Auch der moderne Nationalstaat Deutschland hat all diese Ideen mit entwickelt, verbessert, verfeinert und verfestigt: das geschah durch verschiedenförmige Gesetzgebungen, wissenschaftliche Theorienbildung, über Anweisungen durch Ministerien/ Behörden, Bildungsräume.
Die legale Ausgrenzung und die Ausbeutung müssen dabei zusammen gedacht werden: nur durch die Dämonisierung und Verweigerung eines sicheren gesellschaftlichen Status ist die wirtschaftliche Ausbeutung von Menschen überhaupt möglich
Einige Institutionen wirken besonders machtvoll und ich möchte drei von ihnen an dieser Stelle beispielhaft hervorheben: Polizei, Strafanstalten und Medien.
Polizei, Strafanstalten, Medien
Die Polizei ist nicht nur für die Wahrung der öffentlichen Ordnung zuständig, sondern sie teilt auch zur Orientierung die Bevölkerung in gut und böse. Die Polizei schützt die Guten vor den Bösen, die „Wert-schöpfenden“ vor den Armen, die Ordentlichen vor den Kriminellen.
Die Polizei gehört dabei zu den sichtbarsten Institutionen, die das Leben von schwarzen Menschen bestimmt. (Ich benutze die Bezeichnung „schwarz“ im politischen Sinne für alle Menschen, die von rassistischer Diskriminierung und Ausbeutung betroffen sind, anstatt verschiedene Ethnien aufzuzählen oder auf verschiedene Pigmentierungen von Hautfarben einzugehen).
Wie bestimmt also die Polizei das Leben schwarzer Menschen: durch Kriminalisierung der Asylsuchenden (Residenzpflicht), durch rassistische verdachtsunabhängige Kontrollen, statistische Erhebung und Darstellung der „kriminellen Ausländer“, Intensivtäterdebatten über Jugendliche und damit verbunden die Herabwürdigung und Kriminalisierung der Familie und gesamten communitiy , die Beobachtung ganzer Straßenzüge – Wrangelkiez -.
Also insgesamt: die willige Beteiligung an der Lösung des sogenannten Problems „Migration“.
In diesem Zusammenhang ist auch die Verantwortung der Strafanstalten zu sehen. Schaut man sich die Gesamtzahl der Gefängnisinsassen (besonders die der Jugendlichen) an, kommt einem schnell die Assoziation zu den USA, wo eine große und überwiegende Anzahl von schwarzen Menschen inhaftiert ist.
Dieser Tatbestand wird kontinuierlich medienwirksam in Szene gesetzt (siehe Kinofilm „Knallhart“), wo wir bei der Rolle der Medien angelangt wären.
Man erinnert sich noch an Überschriften wie „Asylanten im Ruhrgebiet – Wer soll das bezahlen?“, „Zauberwort Asyl – schon gibt’s Bett und Geld.“, Parolen wie „Das Boot ist voll“, „Kinder statt Inder“, und Schlagworte wie „Asylantenflut“, „Scheinasylanten“, „Importbräute“ etc.
Medien produzieren und reproduzieren nicht einfach nur, sondern bieten Raum für rassistische Diskurse (Sarrazin); Fernsehanstalten bieten Talk- und Diskussionssendungen an, wo gezielt Menschen eingeladen werden, die mit einer Scheinsachlichkeit rassistisches Gedankengut als Tatsache präsentieren und dadurch Rassismus weiter institutionalisieren.
Dabei sollte man nicht vergessen, wie enorm die Macht der Medien heute ist. Ereignisse werden erst medial als Solche überhaupt wahrgenommen, die Realität über Medien erst generiert.
Lassen Sie mich ein letztes Thema ansprechen.
Als relativ neues Phänomen muss der massiv eingetretene antimuslimische Rassismus beobachtet werden.
Obwohl seit Johannes von Damaskus oder Martin Luther viele den Propheten des Islam oder auch Moslems im Allgemeinen verunglimpft haben, hat das für die muslimische Bevölkerung in Arabien oder der Türkei kaum eine Rolle gespielt.
Auch in Deutschland wurde die Ausgrenzung und Dämonisierung der muslimischen Bevölkerung erst manifest, als Themen wie das Tragen des Kopftuchs öffentlich debattiert wurden und entsprechende Gesetze hieraus folgten. Heute gilt die kopftuchtragende Frau entweder als unmodern oder als Opfer ihres patriarchalen Ehemanns. Auch die Sicherheitsgesetze nach 9/11 kriminalisierten insbesondere türkische und arabische Männer als terroristische Bedrohung und Moscheen als Terrorfabrik.
Fast ohne Widerstand kann diese Beobachtung der Moscheen, der muslimischen Menschen, ihrer Stadtteile erfolgen, fast so als wäre es eine Normalität ohne Kontext. In diesen Zusammenhang gehört auch, dass sich niemand darüber beschwert, wenn der Innenminister den Islamrat von der bevorstehenden Islamkonferenz ausschließt.
Und hier bin ich dann wieder bei Malcolm X: all das geschieht fast unbemerkt. Friedlich.
Autor: Biplab Basuinstitutioneller-rassismus-als-gesellschaftliche-realitat