Racial ProfilingRacial Profiling – Erlebnisse über den alltäglichen Ausnahmezustand

Einleitung

„Racial profiling“ beschreibt die Verdächtigung und Verfolgung von Menschen aufgrund herkunftsbasierter Personenprofile durch die Polizei. Es ist Ausgangspunkt für rassistische Demütigung, Schickane und Gewalt der Polizei gegenüber Menschen, die in das „Raster“ fallen. Die Profilmerkmale sind öffentlich nicht bekannt, lassen sich aber durch die Erzählungen der Betroffenen erahnen.
In diesem Dossier erzählen Menschen, die Opfer von „racial profiling“ und rassistisch motivierter Polizeigewalt geworden sind, von ihren Erfahrungen nach den Übergriffen. Sie berichten vom subtilen System des institutionellen Rassismus: von Kriminalisierung, unzureichender Ermittlungsarbeit und Demütigung. Und von ihrer Bitterkeit über die verschleiernde Verfolgung der Taten durch einen so genannten Rechtsstaat.

Berichte von Betroffenen

„Ich habe niemanden geschlagen…“

Herr G.* verbringt am 10. Januar 2004 den Tag mit seinem fünfjährigen Sohn. Das Verhältnis zwischen ihm und der Mutter des Jungen gestaltet sich kompliziert. Der Junge soll um 18.00 Uhr wieder bei seiner Mutter sein, aber Herr G. wünscht sich mehr Zeit mit dem Kind. Er möchte mit dem Jungen zu Abend essen und ihn auch bei sich übernachten lassen. In einem Telefonat bittet er die Mutter seines Sohnes ihn länger bei sich behalten zu dürfen: sie zeigt wenig Begeisterung für seinen Vorschlag.

Gegen 18.30 Uhr erscheinen zwei Beamte an Herrn G.s Wohnungstür. Es läge eine Anzeige der Mutter vor: Herr G. versucht die Situation zu erklären, der Junge sitzt am Abendbrottisch. Die Beamten betreten unerlaubt die Wohnung und beginnen eigenständig den Jungen anzuziehen. Der Junge schreit und weint. Herr G. telefoniert mit der Mutter des Kindes, aber ein Gespräch ist nicht möglich. Die Beamten sprechen mit ihr: sie beharrt weiter auf der Mitnahme des Kindes. Schließlich trifft polizeiliche Verstärkung ein: mehr als sechs Beamte befinden sich nun in der Wohnung. Das Kind schreit und weint unaufhörlich. Herr G. ist zutiefst verunsichert und besorgt. Er wird von seinem Sohn getrennt. Er befindet sich im Wohnzimmer der Wohnung. Er hört, wie sich einige Beamte über seine Staatsbürgerschaft unterhalten: er wird in den Hausflur gebracht. Die Beamten wollen Herrn G.s Pass sehen. Auf Nachfrage, welcher Grund dafür vorläge, wird er zu Boden geworfen. Unter Gewaltanwendung werden ihm Handschellen angelegt, die Beamten knien auf seinem Rücken und sein Kopf wird nach außen gedreht. Er bekommt keine Luft und hat Todesangst.
Zur erkennungsdienstlichen Behandlung wird Herr G. auf die zuständige Polizeidirektion gebracht. Was mit seinem Sohn geschieht, weiß er nicht. Herr G. ist verletzt und blutet: eine Amtsärztin stellt dennoch seine „Verwahrfähigkeit“ fest. Unabhängige Ärzte werden nicht zugelassen, einen Rechtsanwalt kann er nicht kontaktieren, die Herausgabe der Namen der beteiligten Beamten wird ihm verweigert.
Nach Stunden wird Herr G. entlassen. Erst jetzt kann er seine Verletzungen im Krankenhaus behandeln lassen. Er wird eine Woche stationär in der Psychiatrie behandelt. Lange befindet er sich in fachärztlicher Betreuung.

Widerstandshandlung versus Körperverletzung im Amt

Die in den Vorgang involvierten Beamten stellen noch am 10.01.2004 Anzeige gegen Herrn G. wegen „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“. Ein Beamter sagt aus:

Gemeinsam drückten wir den Beschuldigten … an die Wand. … Er wand sich hin und her und drückte sich mit dem Kopf und dem Oberkörper von der Wand ab. Um ihn endgültig unter Kontrolle zu bekommen drückten wir den Beschuldigten gemeinsam bäuchlings zu Boden. Auch hier wand sich der Beschuldigte hin und her. Es gelang mir … einen Arm des Beschuldigten auf seinen Rücken zu drehen. … Hier legte ich dem Beschuldigten Handschellen an. … Als wir dann gemeinsam dem Beschuldigten beim Aufstehen halfen, stellte ich eine Verletzung an der rechten Augenbraue und am Nasenbein fest. Diese Verletzungen muss sich der Beschuldigte zugezogen haben, als er sich mit dem Kopf gegen die Wand des Hausflures stemmte.

Herr G. zeigt die Beamten am 12.01.2004 wegen „Körperverletzung im Amt an. Auf die o. g. Darstellung antwortet er später:

Das Ganze ist eine Lüge. Ich habe mich damals nicht gewehrt. Das stimmt absolut nicht. Ich wurde nicht gegen eine Wand gestoßen, sondern gleich zu Boden, wie ich es hier angegeben habe. Meine Verletzungen habe ich durch den Kopfstoß auf dem Boden erlitten.

Da Herrn G. die Identifizierung der BeamtInnen während seines Gewahrsams verweigert wurde, konnte das Gericht nicht einwandfrei feststellen, welche BeamtInnen seine Verletzungen verursacht haben. Beide Verfahren mussten eingestellt werden.

(Informationen zur Verfügung gestellt durch Herrn G.)

*anonymisiert

 

„Was ist der Grund dafür uns wie Schwerverbrecher zu behandeln?“

Am Abend des 25. Januar 2001 befinden sich S. B.* und N. G.* (beide US-Staatsbürger) in einem Lokal in Berlin- Schöneberg. Sie sind alleine dort, lediglich die Lokalbesitzerin ist noch anwesend. Gegen 22.30 Uhr betreten mehrere Polizeibeamte energisch das Lokal und beginnen sofort mit einer Durchsuchung. Da sich der Einsatzleiter nicht erkenntlich macht, bleibt der Grund der polizeilichen Durchsuchung vorerst völlig unklar (später stellt sich heraus, dass das Lokal als so genannter „gefährlicher Ort“ definiert ist und damit „Begehungen“ dieser Art staatlich legitimiert sind). Während die Lokalbesitzerin einige der Beamten bei der Durchsuchung der Räumlichkeiten begleitet, werden S. B. und N. G. von mehreren Beamten umringt. Die Situation ist sehr angespannt. Nachdem die Durchsuchung der Räumlichkeiten ohne Ergebnis abgeschlossen ist, wird Herr G. durch die Beamten angehalten, sie zu deren Einsatzwagen zu begleiten, wogegen er sich aus Angst vor Misshandlungen weigert. Also fordern die Beamten ihn auf, seine Kleidung an Ort und Stelle zur Durchsuchung abzulegen. Herr G. entkleidet sich ohne Widerspruch vollständig und auch S. B. sieht sich durch die Situation veranlasst seine Kleider abzulegen. Trotz der entwürdigenden Situation (schließlich sind die Ladenbetreiberin und mindestens eine Polizeibeamtin zugegen; außerdem beobachten mehrere Zeugen die Situation außerhalb des Lokals) bekommen die Männer ihre Kleidung erst nach Minuten wieder ausgehändigt. Die Durchsuchung bleibt ergebnislos. Der Einsatz wird gegen 23.00 beendet und die Polizeibeamten verlassen das Lokal.

Eine Frage der Ehre

Noch am gleichen Abend stellen vier der involvierten BeamtInnen Strafanzeige gegen die beiden Männer. Sie behaupten von ihnen beleidigt worden zu sein.

Im Laufe der polizeilichen Maßnahmen … äußerte (er; d. Verf.) wiederholt … folgendes: „Fuck you, sucker, asshole“, „Motherfucker“, „Ihr seid Nazis.“ Alle Beamten fühlen sich in Ihrer Ehre gekränkt und stellen ausdrücklich Strafantrag.

S. B. und N. G. weisen diesen Vorwurf als absurd zurück, sind sie doch als schwarze US-Staatsbürger mit rassistischen Polizeiübergriffen vertraut und sich der Tragweite der Konsequenzen einer solchen Provokation überaus bewusst. Beide stellen ihrerseits Anzeige gegen die BeamtInnen wegen „Nötigung“ und „Beleidigung“ und schalten die U.S. Botschaft Berlin ein. Die Konsulin wendet sich an die Berliner Polizei

Obwohl ich Verständnis dafür habe, dass Polizeiarbeit schwierig und gefährlich sein kann, und dass oft keine Zeit für Höflichkeiten bleibt, ist es trotzdem möglich Menschen mit Würde und Respekt zu behandeln und die erforderlichen polizeilichen Untersuchungen so unaufdringlich wie möglich durchzuführen.

Nach einer sehr aufwendigen staatsanwaltschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Vorfall, werden gegen S. B. und N. G. Strafbefehle in Höhe von mehreren hundert Euro wegen „Beleidigung“ erlassen. Obwohl Fotoaufnahmen und zeugenschaftliche Aussagen existieren, die ihre Aussagen bestätigen, können sie gegen die Beweismacht mehrerer PolizistInnen nichts ausrichten. Schlimmer noch: Die von den beiden Männern angezeigten BeamtInnen werden zwar durch die Staatsanwaltschaft zur Aussage geladen, versäumen aber mehrmals die Termine. Entgegen gängiger Praxis wird dieses Fehlverhalten nicht sanktioniert und das Verfahren wird schließlich eingestellt.

N. G. beschreibt sein Gefühl, das hier ignoriert bleibt:

Als Folge des Vorfalls fühle ich mich plötzlich erniedrigt, beleidigt und … angeekelt, nachdem Herr B. und ich durch die Berliner Polizei … zu Opfern dieser menschlichen Missachtung und Unanständigkeit gemacht worden sind.

(Informationen zur Verfügung gestellt durch Herrn G. und Herrn B.)

*anonymisiert

 

„Nach Überzeugung des Gerichts gibt es erhebliche Zweifel…“

Am 9. Mai 2004 wird M. Z.* von zwei Polizeibeamten schwer misshandelt. Sie stellt am 11. Mai 2004 Anzeige wegen „Körperverletzung im Amt“ sowie „Beleidigung“. Als Beweismittel legt sie ein ärztliches Attest vor. Am 01. August 2004 belastet die Staatsanwaltschaft Berlin Frau Z. mit einer Gegenanklage wegen „Falscher Verdächtigung“. Aus der Anklageschrift geht hervor:

Am Tattag … zeigte die Angeschuldigte bewusst wahrheitswidrig bei dem Polizeipräsidenten in Berlin … an, dass sie am 09.05.2004 von zwei Polizeibeamten … verletzt worden sei, indem einer von diesen ihre rechte Hand nach unten geschlagen und der andere ihren rechten Arm nach hinten auf den Rücken gebogen und ihr mit der Faust auf den Oberkörper geschlagen habe. Tatsächlich wusste sie, dass ein solcher körperlicher Angriff nicht stattgefunden hat. Die Angeschuldigte wollte durch ihre Strafanzeige erreichen, dass gegen die beiden Polizeibeamten ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird, was auch geschah.

Mehrmals wird Frau Z. wegen dieses Vorwurfs vor das Amtsgericht Tiergarten geladen. Immer wieder wird der Termin kurzfristig abgesagt. Erst zweieinhalb Jahre nach dem Vorfall kommt es zur Hauptverhandlung. Nach zwei Sitzungen wird sie am 13.11.2006 von dem Vorwurf der „Falschen Verdächtigung“ freigesprochen. Aus der Urteilsbegründung vom 18.01.2007 geht hervor:

Nach Überzeugung des Gerichts gibt es erhebliche Zweifel daran, dass die … multiplen Verletzungen durch vermutlich zwei bis drei Stürze über einen Wohnzimmersessel entstanden sein können, wie dies vom Zeugen … (Polizeibeamten; d. Verf.) behauptet wurde. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Zeuge … davon berichtete, die Angeklagte sei über den Sessel gestolpert und dann auf den Teppichboden gestürzt. Davon, dass die Angeklagte etwa gegen einen harten Gegenstand gestürzt bzw. darauf aufgeschlagen sei, berichtete der Zeuge demgegenüber nicht. Das Gericht kann daher nicht ausschließen, dass die Verletzungen auch ihre Ursache in einer erheblichen körperlichen Auseinandersetzung zwischen den Polizeibeamten einerseits und der Angeklagten andererseits haben können. Gegen die Darstellung des Zeugen … spricht weiter, dass der Zeuge … (Bekannter der Angeklagten; d. Verf.) bekundete, er kenne die Angeklagte über längere Zeit … Der Zeuge … berichtete darüber, dass die Wohnung der Angeklagten ausgesprochen einfach eingerichtet gewesen sei. Insbesondere habe im Wohnzimmer … lediglich ein Stuhl ohne Lehne und ein Regal gestanden. … Diese Bekundung des Zeugen … stützt eher die Einlassung der Angeklagten …

Die Staatsanwaltschaft legt gegen dieses Urteil Berufung ein. Diese Berufung wird später zurückgenommen. Inwiefern die Anzeige gegen die Polizeibeamten bearbeitet wurde, ist bis heute unbekannt.

(Informationen zur Verfügung gestellt durch Frau Z.)

*anonymisiert

 

„Der Vorfall … widerspricht meinem Verständnis von Demokratie und Menschenrechten“

Am 26. März 2007 möchte D. K.* gemeinsam mit seinem Sohn einen Freund im Virchowklinikum Berlin Wedding besuchen. Beide stehen vor der Informationstafel, um den richtigen Weg zur Station zu finden, als sie plötzlich von sechs bis sieben Männern hinterrücks angegriffen werden. Herr K. wird zu Boden gerissen und mit Fäusten und Tritten derart brutal geschlagen, dass er Todesangst hat. Sein Sohn wird gegen die Wand geworfen und von ihm getrennt. In seiner Not und dem festen Glauben, Opfer von Banditen geworden zu sein, schreit Herr K. um Hilfe und nach der Polizei. Völlig fassungslos ist er, als sich die Angreifer selbst als Polizeibeamte zu erkennen geben. Nachdem die Personalien der beiden Männer geprüft worden sind, steht fest, dass es sich um eine Verwechslung handelte, einen Sachverhalt den die Beamten lediglich feststellen, um sich dann zurückzuziehen. Die beiden Männer bleiben verletzt zurück. Später eintreffende Polizeibeamte, die sich die Situation schildern lassen, bemerken zum Sachverhalt: „Sind das Psychopaten? Wie kann man einen 64-jährigen Mann im Krankenhaus zusammenschlagen?“

Die Hoffnungslosigkeit des Rechtsweges

Noch am gleichen Abend erstattet Herr K. Strafanzeige gegen die involvierten Beamten wegen „Körperverletzung im Amt“. Der Sicherheitsbeamte des Krankenhauses, der die gesamte Situation beobachtet hat, stellt sich als Zeuge nicht zur Verfügung und leugnet das Gesehene.
Am 11.04.2007 verfasst D. K. eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen das Verhalten der Beamten. Auch der Innensenator und der Polizeipräsident werden durch ihn informiert. Am 31.05.2007 lässt man ihn wissen, dass eine Dienstaufsichtsbeschwerde erst nach Beendigung der strafrechtlichen Ermittlungen geprüft werden könne, und teilt mit:

Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass Sie von dem Ergebnis keine Kenntnis erhalten.

Am 12. März 2008 wird das Verfahren gegen drei der feststellbar am Geschehen beteiligten BeamtInnen eingestellt. In der Begründung wird auf die „abweichende“ Darstellung der Beschuldigten und den Rechtsgrundsatz „in dubio pro reo“ verwiesen. Der in einer Beschwerde der Rechtsanwältin formulierte Verdacht, den Aussagen von PolizeibeamtInnen würde mehr Glaubwürdigkeit beigemessen werden als denen ihres Mandanten, wird wenig überraschend zurück gewiesen. Als wäre das nicht genug, wird schließlich auch die Entstehung der Verletzungen von Herrn K. in bekannter Manier in Zweifel gezogen. Hierzu heißt es:

Der Beschuldigte (ist; d. Verf.) an D. K. mit der lautstark ausgesprochenen Aufforderung ‚Halt! Polizei! Stehen bleiben!’ herangetreten und hat ihn am Oberarm festgehalten. Gleichwohl widersetzte sich (der; d. Verf.) Mandant der Überprüfung, schlug und trat um sich. Um diesen Widerstand zu brechen und sich selbst zu schützen, versetzte ihm der Beschuldigte … einen gezielten Faustschlag gegen die rechte Stirnseite, wobei der Beschuldigte sich mit Rücksicht auf das Alter … und zur Vermeidung erheblicher Verletzungen bewusst nicht der Schlaghand bediente. Gleichwohl setzte D. K. seine Angriffe fort und konnte erst im Zusammenwirken mit (einer weiteren Beamtin; d. Verf.) zu Boden gebracht und überwältigt werden. Da er noch am Boden liegend weiterhin um sich schlug und trat, gesellte sich schließlich noch (eine dritte Beamtin; d. Verf.) hinzu, um die Beine von Herrn D. K. festzuhalten.

Dass die Rechtsanwältin in ihrer Beschwerde auf die inhaltlichen Widersprüche in den Darstellungen der BeamtInnen verweist und die Unvereinbarkeit der festgestellten Verletzungen ihres Mandanten mit den geschilderten angeblichen Widerstandshandlungen benennt, überzeugt die Staatsanwaltschaft schlussendlich nicht. Sie stellt am 16.05.2008 abschließend fest, dass eine Hauptverhandlung keine neuen Erkenntnisse hervorbringen könne und belässt es bei der Einstellung des Verfahrens.

(Informationen zur Verfügung gestellt durch Herrn K.)

*anonymisiert

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