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Schwarzer Deutscher erreicht Anerkennung der Kniefixierung als unverhältnismäßige Polizeipraxis in seinem langen Kampf um Gerechtigkeit
Nachdem er lebensbedrohliche Polizeigewalt überlebt hat, kämpfte ein Schwarzer Deutscher 5 Jahre in mehreren Gerichtsverfahren um Gerechtigkeit, zuletzt im Schmerzensgeldprozess gegen das Land Berlin. Das Urteil wurde am 17. April 2025 verkündet: Von den geforderten 10.000 € Schmerzensgeld sprach die Richterin 3.000 € zu. Die Kniefixierung stufte sie als zu lang und in Kombination mit der Handfesselung als unverhältnismäßig ein.
Vor 5 Jahren überlebte Zefanias M. rassistische Polizeigewalt, nachdem er am 04.11.2019 nachts am U-Bahnhof Hermannstraße Zivilcourage gezeigt und sich für eine obdachlose Person eingesetzt hatte, die von Securitys der BVG in die Kälte geschickt werden sollte. Die Security der BVG rief die Polizei. Diese eskalierte die Situation weiter und wendete massive Gewalt gegen Zefanias an. Unter anderem drückte ein Polizist über mehrere Minuten sein Knie in Zefanias Nacken. In Folge dieser Misshandlung wurde Zefanias ohnmächtig. Die Kniefixierung ist eine lebensgefährliche Technik, bei der Polizist*innen eine am Boden liegende Person durch ein Knie im Nacken oder auf dem Rücken zu Boden pressen und fixieren. In Folge dieser brutalen Praktik haben bereits viele Menschen auch in Deutschland ihr Leben verloren.
Zefanias M. überlebte. Er sah sich nach der für ihn verhängnisvollen Nacht nicht nur mit den gesundheitlichen Folgen der Polizeigewalt konfrontiert, sondern erlebte eine typische Täter-Opfer-Umkehr und Einschüchterungstaktik: Er wurde selbst angeklagt. Das Strafverfahren gegen die beteiligten Beamten hingegen wurde mehrmals eingestellt. Auf der durch die Polizei gesicherten Aufnahme der Überwachungskamera fehlten die entscheidenden 15 Minuten. Die Beamten sind bis heute im Dienst.
Dann klagte Zefanias M. selbst gegen das Land Berlin: Auf Schmerzensgeld. In insgesamt drei Prozesstagen wurde der Fall verhandelt. Zefanias sah sich im Gerichtssaal wiederholt mit herabsetzenden Kommentaren und Diskreditierungsversuchen durch den Anwalt des Landes Berlin und die Polizeizeug*innen konfrontiert. Die insgesamt 6 Polizeizeug*innen deckten sich außerdem gegenseitig und wurden vom Anwalt des Landes Berlin wohlwollend befragt. Die Aussagen der Polizeizeug*innen waren durch wesentliche Widersprüche und selektive Erinnerungen geprägt. Während sie sich beispielsweise auffallend detailliert an vermeintliche Beleidigungen von Zefanias erinnern konnten, hatten sie plötzlich Erinnerungslücken als es um die massive Polizeigewalt ging, die Zefanias angetan wurde. Es wurde nachdrücklich an einem Narrativ gearbeitet, in dem Zefanias die erlebte Gewalt selbst verursachte. Damit wird die Verantwortung von den gewaltausübenden Polizist*innen hin zum Betroffenen verschoben und völlig unverhältnismäßige Gewaltanwendung gerechtfertigt. Am vergangenen Donnerstag wurde des Urteil verkündet.
Es ist üblich, dass deutsche Gerichte staatliche Gewalt nicht anerkennen und damit weitere Polizeigewalt ermöglichen. Deswegen überraschte es nicht, dass die Richterin den Ausführungen der Polizeizeug*innen folgte und Zefanias M. eine Mitschuld an der erlebten Gewalt gab. Dennoch erkannte die Richterin an, dass eine minutenlange Kniefixierung gegen eine am Boden liegende, gefesselte Person nicht verhältnismäßig sei. Zwar erhöht die Handfesselung und die Länge der Kniefixierung die Gefahr einer Erstickung erheblich, jedoch ist die Kniefixierung als solche bereits ausnahmslos lebensgefährlich, schwer zu kontrollieren und folgenreich für die Betroffenen.
Der Fall von Zefanias M. ist Teil eines gesamtgesellschaftlichen Musters, in dem strukturell benachteiligte Menschen überproportional häufig von der Polizei ins Visier genommen werden und überproportional häufig von Polizeigewalt betroffen sind. Staatsanwält*innen und Richter*innen geben Polizist*innen meist Rückendeckung, sodass den Betroffenen Gerechtigkeit verwehrt bleibt. Darin wird deutlich, dass Polizeigewalt ein strukturelles, instituionenübergreifendes Problem in Deutschland ist.
Ohne solidarische Anwält*innen, nahestehende Personen sowie zivilgesellschaftliche und aktivistische Unterstützung wäre der lange und ermüdende Kampf um Gerechtigkeit für Betroffene meist nicht stemmbar. KOP und ReachOut sind in Berlin Anlaufstellen für Betroffene von rassistischer Polizeigewalt. Die Kampagne Polizei im Nacken unterstützte Zefanias M. im Schmerzensgeldprozess durch solidarische Prozessbegleitung und setzt sich für ein juristisches Verbot und eine soziale Ächtung der lebensgefährlichen Kniefixierung ein. Wir begrüßen den Teilerfolg, aber der Kampf um Gerechtigkeit geht weiter.
[Pressekontakt]
Polizei im Nacken – Kniefixierung verbieten
kniefixierung@posteo.de I 0157 50697076
[ENGL.]
Partial success in lawsuit for compensation against the state of Berlin after life-threatening police violence
Black German man achieves recognition of knee fixation as disproportionate police practice in his long fight for justice
After surviving life-threatening police violence, a black German spent five years fighting for justice in several lawsuits, most recently in a lawsuit against the state of Berlin for compensation. The verdict was announced on April 17th: The judge awarded €3,000 out of the €10,000 that were claimed for compensation. She classified the knee fixation as too long and, in combination with the handcuffing, as disproportionate.
Five years ago, Zefanias M. survived racist police violence after he showed civil courage at U-Bahnhof Hermannstraße in the night of November 4th in 2019 and by standing up for a homeless person who was about to be sent out into the cold by BVG security. BVG security called the police. They escalated the situation further and used massive violence against Zefanias. Among other things, a police officer pressed his knee into Zefanias‘ neck for several minutes. As a result of this abuse, Zefanias fainted. Knee fixation is a life-threatening technique in which police officers violently fixate a person lying on the ground by placing a knee on their neck or back. Many people, also in Germany, have lost their lives as a result of this brutal practice.
Zefanias M. survived. After this fatal night, he was not only confronted with the impacts of the police violence on his health, but also experienced a typical perpetrator-victim reversal and intimidation tactic: He was charged himself. The lawsuit against the officers involved, on the other hand, was dropped several times. On the surveillance camera footage retained by the police themselves the decisive 15 minutes were missing. The officers are still on duty today.
Zefanias M. then sued the state of Berlin himself: for compensation. The case was heard over a total of three trial days. In the courtroom, Zefanias was repeatedly confronted with disparaging comments and attempts to discredit him by the lawyer of the state of Berlin and the police witnesses. The 6 police witnesses also covered for each other and were questioned sympathetically by the lawyer for the state of Berlin. The statements of the police witnesses were characterized by significant contradictions and selective memories. For example, while they were able to recall alleged insults by Zefanias in striking detail, they suddenly had gaps in their memories when it came to the massive police violence inflicted on Zefanias. A narrative was emphatically developed in which Zefanias himself caused the violence he experienced. This shifts the responsibility from the police officers perpetrating the violence to the victim and justifies the completely disproportionate use of violence. The verdict was announced last Thursday.
It is common for German courts not to recognize state violence and thus enable further police violence. It therefore came as no surprise that the judge followed the statements of the police witnesses and found Zefanias M. partly responsible for the violence he experienced. Nevertheless, the judge recognized that the several minute long knee fixation of a handcuffed person lying on the ground is not proportionate. Certainly handcuffing and the length of the knee fixation further increase the risk of suffocation. However, knee fixation as such is always life-threatening, difficult to control and has serious consequences for those affected.
The case of Zefanias M. is part of an overall pattern in which structurally disadvantaged people are disproportionately often targeted by the police and disproportionately often affected by police brutality. Public prosecutors and judges usually back the police, so that those affected are denied justice. This makes it clear that police violence is a structural, cross-institutional problem in Germany.
Without lawyers acting in solidarity, people close to the victims, civil society and activist support, the long and tiring fight for justice for those affected would usually not be manageable. KOP and ReachOut are contact points in Berlin for those affected by racist police violence. The campaign „Polizei im Nacken“ supported Zefanias M. in his lawsuit for compensation by demonstrating solidarity during the entire trial and by campaigning for a legal ban and the social ostracism of life-threatening knee fixation. We welcome the partial success, but the fight for justice continues.
[press contact]
Polizei im Nacken – Kniefixierung verbieten! – Ban knee-on neck
kniefixierung@posteo.de I 0157 50697076