25. Mai 2010 – Amare B. (anonymisiert)
Am späten Nachmittag steht Amare B. am Tempelhofer Damm und telefoniert. Völlig unvermittelt wird er von mehreren Männern angegriffen und zu Boden geworfen. Erst geht Amare B. von einem Neonazi-Angriff aus, doch als ihm plötzlich Handschellen angelegt werden, begreift er dass es sich bei den Angreifern um Polizisten handelt. Einer der Männer kniet auf seinem Nacken, so dass er keine Luft mehr bekommt. Er hat Todesangst, schreit. Man befiehlt ihm nicht zu sprechen. Er wird vom Boden hochgezerrt und in einen parkenden PKW gestoßen. Man durchsucht seine Jacke nach Personalien. Immer wieder fragt man ihn, woher er sein mitgeführtes Geld habe. Amare B. versteht all das nicht. Nach einer Weile kommen weitere Polizeiwagen hinzu, mit weiteren Beamten. Nach Minuten werden seine Handschellen geöffnet und man weist ihn an, zu gehen. Auf seine Frage, warum er geschlagen wurde, antwortet ein Beamter aggressiv: „Wir haben jemanden gesucht, du hast hier gestanden und mit dem Handy telefoniert, in dem Moment hast du uns angeschaut und das war verdächtig.“
Amare B. wird am linken Auge verletzt. Eine Rippe ist geprellt. Infolge des Angriffs verschlechtert sich seine psychische Verfassung derart, dass er sich in therapeutische Behandlung begibt.
Amare B. erstattet Anzeige wegen „Körperverletzung im Amt“. Der Prozess gegen zwei beschuldigte Beamten endet 2011 mit Verurteilungen. Die Polizisten legen Berufung gegen das Urteil ein. Am 18. September 2012 wird das Berufungsverfahren im Landgericht Berlin eröffnet. (vgl. https://kopb.uber.space/wp-content/uploads/2023/10/kop-chronik.pdf, Eintrag vom 25.05.2010)
Eindrücke vom ersten Prozesstag im Berufungsverfahren (18. September 2012)
Abstract
Das Gericht wirkte nicht neutral: Richterin und Staatsanwältin profilierten sich als Verteidigerinnen der Angeklagten. Die Nebenklagevertreterin stellte einen Befangenheitsantrag gegen die Richterin.
Der Grund für die polizeiliche Maßnahme konkret an Amare B. blieb ungeklärt. Die Abnahme des Handies von Amare B. erfolgte ohne Beschluss. Eine Rechtsbelehrung nach der (vorläufigen) Gewahrsamnahme von Amare B. erfolte nicht. Die Einlassungen der angeklagten Polizisten G. und S. waren unglaubwürdig.
Die angeklagten Polizisten G. und S. beschuldigen – wie bereits in der Hauptverhandlung – ihren Kollegen B. der Gewaltanwendung gegenüber Amare B. und verschleierten aus diesem Grund den Hergang des Übergriffs. Amare B. hat die angeklagten Polizisten demgegenüber zweifelsfrei als Täter des Übergriffs identifiziert.
Die angeklagten Polizisten G. und S. fertigten weder über ihre Beobachtungen eines Diebstahls an der Aldi-Filiale, noch über ihren „Einsatz“ an Amare B. Berichte an. Gegenüber dem ermittelnden Beamten K. aus der LKA-Abteilung „Polizeidelikte“ schwiegen sie.
Amare B. wurde mehrfach gebeten, einer späteren Vernehmung im Laufe des Prozesstags zuzustimmen. Geplant soillte er nach den angeklagten Polizisten G. und S. sprechen. Einer eingeschobenen Vernehmung des Polizisten K. stimmte er zu. Als auch noch der Beamte B. vor ihm gehört werden sollte, wehrte er sich. Die Richterin bot ihm mehrfach die Verschiebung seiner Vernehmung auf einen zweiten Prozesstag an. Dies stellte eine absolute Geringschätzung des Geschädigten und seiner psychischen Schmerzen dar. Amare B. war eingestellt auf seine Vernehmung und wollte sich unverzüglich Erleichterung verschaffen. Konstrastierend hierzu stand die Sensibilität des Gerichts für den Arbeitsausfall der zu vernehmenden Polizeibeamten K. und B.
Die Nebenklagevertreterin war seitens des Gerichts erheblichen Behinderungen in ihren Befragungen ausgesetzt. Die Verteidiger der Angeklagten beleidigten die Nebenklagevertreterin provokativ.
Von ausformulierten Einlassungen und Behinderung der Nebenklagevertretung
Nach der Prozesseröffnung bekommen die angeklagten Polizisten zuerst das Wort. Der Beamte G. verliest eine Einlassung, in der er den Hintergrund des Einsatzes erläutert. Er und sein Kollege sollten um 17 Uhr bei einem Einsatztreffpunkt auf Kolleg_innen der Polizei Frankfurt /Oder warten, um von dort aus zu einer breiten polizeilichen Maßnahme gegen Drogenkriminalität aufzubrechen. Vor dem Treff wollten sie noch Pfandflaschen in einer Aldi-Filiale abgeben. Hier beobachteten sie zufällig einen Süßwarendiebstahl. Als die Diebe – nach Auskunft des Beamten G. „südeuropäischen Aussehens“ – ihrer Gewahr werden, lassen sie ihre Beute stehen und fliehen zu Fuß über kleine und verzweigte Straßen. Die Beamten nehmen im Dienstwagen die Verfolgung auf. Der Beamte G. behauptet, einer der Täter sei durch ein Parterre-Fenster in eine Wohnung am Tempelhofer Damm 68 gestiegen, ein anderer über den Hauseingang verschwunden. Die Beamten entschließen sich also zu observieren. Der Polizist G. beginnt „sich aufzurüsten“, das heißt seinen Waffengurt anzulegen. Sein Kollege S. erblickt nun Amare B. und hält ihn für einen möglichen Komplizen der Diebe. S. hat Angst, Amare B. hat im Kofferraum des zivilen Polizeifahrzeugs die Utensilien der Polizei entdeckt und würde nun die Diebe warnen. Er informiert also seinen Kollegen und beide kommen zu der Einschätzung Amare B. sei ausreichend verdächtig: Er hätte in einige Fenster von Wohnungen geschaut und nun telefonierte er auch noch. Der Polizist G. behauptet also, er und sein Kollege seien auf Amare B. zugegangen, der Kollege hätte ihn ordnungsgemäß und deutlich angesprochen, sich als Polizisten zu erkennen gegeben und die Einsicht in das Handy erfragt. Amare B. hätte das Handy in die Höhe gehalten. Der Polizist G. sei zu diesem Zeitpunkt von Kollegen aus Frankfurt/ Oder angerufen worden, weshalb er sich aus der Situation entfernt haben will. Sein Kollege S. habe weiter versucht, das Telefon von Amare B. ausgehändigt zu bekommen. Nun will der Polizist G. aus einem Fahrzeug einen angeforderten Kollegen B. gestürmt gesehen haben, der unvermittelt mit einem Tonfa Amare B. zu Boden brachte. Warum er dies tat, sei ihm nicht einleuchtend gewesen. Damit schließt er seine Einlassung.
In seinen anschließenden Ausführungen bedauert der Kollege S. die Schädigungen, die der Einsatz bei Amare B. verursacht habe. Er bestätigt dezidiert die Aussagen des Polizisten G. und beschuldigt ebenfalls den zur Verstärkung hinzukommenden Kollegen B. des unverhältnismäßig harten Umgang mit Amare B., mit dem er selbst nur „gerangelt“ haben will. Nebenbei erwähnt er, dass der Vorfall im Aldi und der polizeiliche Einsatz gegenüber Amare B. nicht dokumentiert worden seien.
Die Nachfragen der beiden Verteidiger der Angeklagten zielten nun darauf ab, die These von der Täterschaft des Kollegen B. zu untermauern. Dieses Spiel konnte bereits in der ersten Instanz beobachtet werden. Die Polizisten G. und S. behaupten, sie hätten sich mehrmals den Kollegen zur Verfügung gestellt eine Aussage zu dem Geschehen zu machen. Sie wollten wissen, wie es zu dem überstrapazierten Einsatz gekommen sei. Leider wurden sie immer wieder abgewiesen. Irgendwann ließen sie die Sache dann auf sich beruhen und seien zu ihrem Polizeialltag zurückgekeht.
Die Nachfragen der Richterin lösten erheblichen Zweifel aus, ob sie in die Prozessakte überhaupt eingelesen war. Die Richterin hatte in der ersten Instanz nicht teilgenommen, war erst am 17.09. aus dem Urlaub zurückgekommen und behauptete, Aktenteile wie die Beiakte nicht vorgelegt bekommen zu haben. (ein Aspekt den die Nebenklagevertreterin von Amare B. zweifelsfrei zurückweist) Die Art und Weise ihrer Fragen wirkte unkonzentriert und durcheinander. Immer wieder erklärte sie höchstselbst, dass polizeiliche Maßnahmen auch mit Verletzungen einhergehen würden, dass es in der Natur des Verdachts liege, dass dieser auch Unschuldige treffe und polizeiliche Arbeit ohne Verdachtsgenerierung eben nicht auskomme. Damit machte sie sich zur Verteidigerin der Angeklagten. Nachdem die Staatsanwältin das Wort hatte, durfte die Nebenklagevertreterin ihre Fragen stellen. Noch bevor es dazu kam, ließen beide Angeklagten verlauten, sie werden auf Fragen der Nebenklagevertreterin nicht antworten. So war diese gezwungen ihre Fragen über die vorsitzende Richterin zu stellen. In diesem Prozedere gipfelte die Unausgewogenheit diese Verhandlungstags: nach jeder Frage, die die Richterin für die Nebenklage an die Angeklagten weiterleiten sollte, fragte diese erst die Nebenklagevertreterin zurück, welchen Sinn, Zweck und welches Erkenntnisinteresse ihre Fragen hätten. Mehrfach beantwortete die Richterin die Fragen für die Angeklagten selbst. Die Nebenklagevertreterin fand sich in einer Situation wieder, wo sie um ihre Verfahrensbeteiligung schwer zu kämpfen hatte.
Durch das Engagement der Nebenklagervertreterin konnte erreicht werden, dass die Angeklagten zugaben erst 17.20 Uhr an der Aldi-Filliale gewesen zu sein, obwohl sie bereits 17 Uhr ihre Kolleg_innen aus Frankfurt/ Oder in Schöneberg treffen sollten. Die Behauptung, sie seien zeitlich vor ihrem Einsatztreffpunkt an der Aldi-Filiale gewesen, stellte sich damit als unwahr heraus. Die Verfolgung der Diebe und der Polizweieinsatz gegenüber Amare B. duaerten zusätzliche 25 Minuten. Zu Recht fragte sich die Nebenklagevertreterin, wie der Tatbestand eines Süßwarendiebstahls mit flüchtigen Tätern, ihre komplizierte Verfolgung und die „polizeiliche Maßnahme“ an einem völlig unbeteiligten, in Verdacht geratenen Amare B. im Verhältnis stünden zu dem eigentlichen Einsatz der Beamten, an dem Kolleg_innen aus mehreren Bundesländern eine koordinierte Durchsuchungsaktion von Wohnungen zur Bekämpfung schwerwiegender Drogenkriminalitätsdelikte geplant hatten. Diese Frage blieb unbeantwortet, weil die Richterin sich weigerte die Angeklagten hierzu zu Wort zu rufen. Pikant auch: die Täter des Diebstahls wurden nie gestellt. Außerdem stellte sich heraus, dass Amare B. unmöglich den Kofferraum des Polizeiwagens von seinem Standort aus gesehen haben kann, wie die Polizisten G. und S. behauptet hatten. Der PKW stand 100 m von Amare B. entfernt.
„Ich bin da nicht rangekommen.“
Im Anschluss wurde der Polizist K. aus der LKA-Abteilung „Polizeidelikte“ vernommen. Er beschrieb ausführlich seine Gespräche mit Amare B. und seinen daraus resultierenden Ermittlungsaufwand. Positiiv fiel das Engagement des Beamten K. auf, der sich ein umfassendes Bild von dem behaupteten Übergriff machen wollte und auch Fragen nach Kontrollmotivation und Verhältnismäßigkeit stellte. Eine starke Kritik richtete er an die angeklagten Polizisten, die keinerlei Dokumentation über ihre Einsätze – weder in der Aldi Filliale, noch im Kontakt mit Amare B. – angefertigt hatten. Dadurch sei die Rekonstruktion des Geschehens erheblich erschwert gewesen, wobei hierzu die Disziplinarabtreilung der Polizei noch gesondert zu ermitteln habe. Verständnis äußerte er über den Ablauf des Einsatzes, der sich alles in allem für ihn als verhältnismäßig darstellte, auch wenn sich dies aus Sicht von Amare B. anders darstellen müsse. Das Vorhaben von Amare B. strafrechtlich gegen die Beamten vorzugehen, hätte man seiner Anssicht nach abwenden können, wenn die Beamten ihn vor Ort etwas „gebauchpinselt“, den Einsatz erklärt und sich entschuldigt hätten. Damit untergrub er die strafrechtliche Relevanz des Vorfalls. Wenig verwunderte, dass sich auch der Beamte K. keine rassistische Kriminalisierung als Grund für den Übergriff vorstellen konnte. Ein solcher Gedanke würde voraussetzen, grundsätzlich Rassismus in der Polizei anzuerkennen.
Nach einer Pause stellte die Nebenklagevertreterin einen Befangenheitsantrag gegen die Richterin. Dann folgte die Vernehmung von Amare B., der immer wieder in Tränen ausbrach. Sein psychischer Schmerz über den Einsatz war deutlich spürbar. Er erklärte dezidiert den Übergriff aus seiner Sicht: er sei von den Polizisten G. und S. hinterrücks während eines Telefonats mit einem Wohnungsmakler angegriffen worden. Der Polizist G. drehte das Handy aus seiner Hand, während seinen Arm hinterrücks verrengte und ihn zu Boden warf. Der Polizist S. kniete auf seinem Nacken, so dass er keine Luft bekam. Dann sah er den (zur Verstärkung anrückenden) Polizisten B. herrüberrennen. Dann wurden ihm Handschellen angelegt. Als er hochgerissen wurde, erblickte er vier Beamte in seiner unmittelbaren Nähe, die Angeklagten und die Polizisten B. und R. Er wurde auf die Rückbank eines Zivilfahrzeugs gebracht und man durchsuchte ihn und seine Sachen. Er wurde nach 20 Euro in seiner Jackentasche gefragt, was er nicht verstand. Dann wurde er entlassen. Der Polizist S. sagte ihm noch, er könne eine Anzeige wegen des Einsatz erstatten. Weitere Erklärungen oder Entschuldigungen sprach man nicht aus. Der Polizist G. erklärte später noch, er sein zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen.
Amare B. identifizierte wiederholt und deutlich die angeklagten Polizisten als die Täter des Überfalls. Die Verteidiger der Angeklagten diskreditierten diese Aussagen erwartbar und versuchten Amare B. zu verunsichern und durcheinander zu bringen. Die Staatsanwältin bezweifelte in ihren Fragen die gesndheitliche Schädigung von Amare B., der dies als Zumutung empfand.
Um 17 Uhr endete der Prozesstag. An den kommenden Prozesstagen werden verschiedene Rechtseinschätzungen verlesen und die Polizeizeugen B. und R. vernommen.