Gerichtet an Oberstaatsanwalt Christian Preissner
11. November 2012
Wie Sie wissen, kämpft die Initiative im Namen der Familie Jalloh seit fast 8 Jahren fûr die Aufklärung der Todesursache von Oury Jalloh. Angesichts der äusserst fragwûrdigen Umstände, unter welchen Oury Jalloh am 7. Januar 2005 in der Dessauer Polizeizelle ums Leben kam, halten wir die von Ihnen erhobene Anklageschrift gegen den damaligen Dienstgruppenleiter Andreas Schubert fûr nicht ausreichend, den Mord hinreichend aufzuklären.
Es ist absolut nicht nachvollziehbar, wie sich Oury Jalloh, obwohl er auf einer feuerfesten Matratze fixiert worden war, selbst angezûndet haben soll. Ihre Bemûhungen zu beweisen, dass sowas mõglich ist, konnten weder die interessierte Õffentlichkeit noch den Bundesgerichtshof ûberzeugen. Die Karlsruher Richter hielten es fûr „nicht nachvollziehbar wie sich der Brand der Matratze im einzelnen entwickeln konnte.“ Vor dem Dessauer Landgericht erklärten Sie, dass es keine andere denkbare Variante gibt, als die, dass Oury Jalloh das Feuer selbst angezûndet hat. Suizid schliessen sie als mõgliches Handlungsmotiv aus, die Mordthese betrachten Sie als unwahrscheinlich.
In ihrem Plädoyer vor dem Dessauer Landgericht sprachen sie von einem „tragischen Unfall“ – ein „Unglûcksfall“, den Sie sie sich ganz offensichtlich selbst nicht erklären kõnnen. Obwohl es unzählige Widersprûche und Ungereimtheiten hinsichtlich der Zeugenaussagen sowie der Brand- bzw. Todesursache von Oury Jalloh gibt, behaupten Sie unbeirrt, dass es keine Anhaltspunkte dafûr geben wûrde, dass das Feuer durch Dritte gelegt wurde. Wie in diesem Prozess erneut deutlich wurde, weisen eine Vielzahl von Indizien darauf hin, dass Polizeibeamte Oury Jalloh ermordet haben:
Das Feuerzeug.
Nichts spricht dafûr, dass Oury Jalloh ûberhaupt ein Feuerzeug bei sich hatte: Der zuständige Beamte März hatte Oury Jalloh entsprechend durchsucht. Ein erfahrener Polizist ûbersieht bei der Durchsuchung ein Feuerzeug? Sie unterstellen, dass Oury Jalloh dennoch die Mõglichkeit hatte, irgendwo an seinem Kõrper ein Feuerzeug zu verstecken. Wie erklären Sie sich dann, warum an dem Feuerzeugrest, der im ûbrigen erst drei Tage später im Brandschutt entdeckt worden war, weder DNA oder Faserreste von Oury Jalloh noch Spuren von der Matratze, auf der er verbrannt ist, nachgewiesen werden konnten? Ausserdem ist es absolut nicht glaubhaft, dass das Feuerzeug angeblich in den Brandresten gefunden wurde, die sich direkt unter dem Kõrper von Oury Jalloh befanden. Zum einen stellt sich hier die Frage, wie es ihm mõglich gewesen sein soll, das Feurzeug unter seinen Kõrper zu schieben, wenn die rechte Hand mit einer Fessel an der Wand
fixiert war? Zum anderen ist es absolut nicht nachzuvollziehen, warum das Feuerzeug bei der Tatortarbeit ûbersehen werden konnte. Wie wir am 7. November 2012 im Gerichtssaal selbst feststellen konnten, besteht der untersuchte Brandschutt aus sehr ûbersichtlichen grõsseren und kleineren, teilweise kaum beschädigten Matratzenteilen. Der Feuerzeugrest wäre mit Sicherheit zum Zeitpunkt der Bergung der Leiche gefunden worden, wenn er denn da gewesen wäre. Diesbezûglich stellt sich auch die Frage, warum das Video, welches von den zuständigen Kripobeamten zur Dokumentation der Tatortarbeit angefertigt wurde, abgebrochen ist, bevor der Leichnam von Oury Jalloh angehoben wurde. Wir sind ûberzeugt, dass hier mit Absicht das Videomaterial gelõscht wurde, weil der Film gezeigt hätte, dass sich das Feuerzeug gar nicht im Brandschutt unter Oury Jalloh befunden hatte. Die Aussage des zuständigen Kameramannes, das Video wäre aufgrund eines ominõsen
Stromausfalls abgebrochen ist gelogen, kein anderer Zeuge konnte einen Stromausfall am Nachmittag des 7. Januars 2005 bestätigen. Der Einsatz von Brandbeschleunigern wurde nur unzureichend untersucht. Ein Brandsachverständiger war bei der Tatortarbeit nicht anwesend, ein Gaskomatograph zum Nachweis von Brandbeschleunigern wurde am 7. Januar 2005 ebenfalls nicht eingesetzt. Stattdessen wurden Teile des Brandschutts in Tûten gefûllt und erst Tage später nach
Brandbeschleunigern untersucht. Dabei wurde von den ermittelnden Beamten unverständlicher Weise missachtet, dass die stark flûchtigen Brandbeschleuniger bei
einem derart nachlässigen Umgang mit hoher Wahrscheinlichkeit gar nicht mehr nachgewiesen werden konnten. Wir werten dieses unprofessionelle Handeln seitens der Kripobeamten als eine bewusste Vernichtung von Beweismitteln, die die Staatsanwaltschaft geduldet oder gar veranlasst hat. Sowohl der medizinische Gutachter Bohnert, als auch Brandgutachter Steinbach konnten die Verwendung von Brandbeschleunigern nicht ausschliessen. Bohnert hatte dem Magdeburger Landgericht erklärt, dass zwar aus morphologischer Sicht keine Brandbeschleuniger nachgewiesen werden konnten. Gleichsam fûgte er hinzu, dass morphologische Befunde aber nicht geeignet seien, die Verwendung von Brandbeschleunigern generell auszuschliessen. Steinbach hatte nachdrûcklich bestätigt, dass seine Untersuchungen auf den Vorgaben der Staatsanwaltschaft und des Gerichtes beruhten. Das Inbrandsetzen der Matratze durch ein Feuerzeug war die alleinige Annahme in Hinblick auf die Brandentstehung und bildete somit die Basis seines Gutachtens. Steinbach fûhrte vor dem Magdeburger Landgericht aus, dass diese Art der Brandursache nicht einhundert prozentig sicher sei, da die Brandentsehung durch Entzûndung der Kleidung auch nicht ausgeschlossen werden kõnne. Trotzdem beschränkte Steinbach seine Arbeit auf die richterlcihen Vorgaben und räumte ein, dass es aus seiner Sicht „nõtig gewesen wäre, ungleich mehr Versuche mit verschiedenen Ansätzen zu machen.“ Warum arbeiten Brandgutachter ausschliesslich nach den Vorgaben von Kammer und Staatsanwaltschaft und folgen nicht der wissenschaftlichen Logik?
Nach dem Õffenen der Zellentûr, so der Zeuge Mõbes, hatte er einen grossflächigen Brand auf dem Podest, auf dem Oury Jalloh lag, wahrgenommen. Er beschrieb eine 20 bis 30 Zentimeter hohe Flamme, die unten blau war und nach oben hin ins rõtliche ûberging. Sowohl Steinbach als auch der in diesem Verfahren hinzugezogene Brandsachverständige Portz bestätigten, dass eine blaue Flamme unter anderem beim Abbrennen von Brandbeschleunigern entsteht. Brandbeschleuniger waren im Gewahrsamstrakt ohne weiteres im Arztzimmer in Form von Desinfektionsmitteln beziehungsweise als Reinigungsmittel fûr die Polizeibeamten leicht zugänglich. Zwei Gewahrsamsbeamte hatten ausgesagt, bei der Zellenkontrolle gegen 11.45 Uhr eine Flûssigkeitslache auf dem Boden wahrgenommen zu haben, an die sie sich heute allerdings nicht mehr erinnern wollen. Wo kommt diese Flûssigkeit her? Wenn es nichts zu verbergen gibt, warum wehren Sie sich dann derart hartnäckig, Brandversuche mit Brandbeschleunigern in Auftrag geben zu lassen?
Rassismus im Dessauer Polizeirevier.
Noch bevor die Stendaler Kripobeamten am 7. Januar 2005 am Tatort eintrafen, waren sie vom Innenministerium darûber informiert worden, dass die Dessauer Kollegen fûr ihren „harten Umgang mit Migranten bekannt waren.“ Dies hatte der damalige Dessauer Kripobeamte Hanno Schulz in einem 4-Augen-Gespräch von einem Stendaler Ermittler erfahren. Schulz sagte weiter aus, dass die Repressionsmassnahmen insbesondere gegen Afrikaner im Dessauer Stadtgebiet in den
Jahren zuvor ein schlechtes Licht auf den ganzen Polizeiapparat geworfen hatten. Deshalb hatte das Ministerium angeordnet, „das polizeiliche Vorgehen gegen Migranten auf ein Notwendiges“ zurûckzufahren. Widersprûchliche und erfundene Polizeiaussagen. Es ist absolut nicht nachvollziehbar, warum sich alle Ermittlungen auf die Zeitvorgaben des Angeklagten Schuberts stûtzen, der bereits im Jahr 2002 fûr den Tod eines Menschen in der gleichen Zelle aus bisher ungeklärten Umständen verantwortlich war. Im sogenannten Fall Bichtemann waren damals Ermittlungsverfahren u.a. gegen Andreas Schubert eingeleitet worden. Die Untersuchungen diesbezûglich waren zum Zeitpunkt des 7. Januars 2005 noch gar nicht abgeschlossen. Diese wurden dann, auch auf Anregung des damaligen
Revierleiters Kohl, stillschwigend eingestellt. Eine zentrale Aussage vor dem Magdeburger Landgericht war wohl die des Beamten Bock. Dieser war gegen 11.30 Uhr noch einmal in Gewarsamsbereich und hatte dort die Kollegen März und Scheibe in der Zelle 5 angetroffen. Was sie dort genau taten, war ihm nicht genau ersichtlich. Da sie sich an Oury Jallohs Kõrper zu schaffen machten, schien es ihm wie eine erneute Durchsuchung. Daraufhin wurden März und Scheibe erneut in den Zeugenstand gerufen. Scheibe behauptete zur Tatzeit allein in der Kantine zu Mittag gegessen zu haben. März sagte aus, er wäre mit Scheibe zusammen gewesen.
Was die Beiden nach der Ingewarsamnahme von Oury Jalloh genau gemacht haben, ist weiterhin unklar, was auch darauf zurûck gefûhrt werden kann, dass das Fahrtenbuch der beiden Streifenpolizisten im Hause der Staatsanwaltscht verschwunden ist. In den letzten zehn Jahren gab es eine Reihe von Anhaltspunkten dafûr, dass die Dinge – insbesondere im Dessauer Polizeirevier – eher katastrophal liefen und ûber Jahre hinweg bis heute eine rassistische und menschenverachtende Umgangsweise gegenûber sogenannten Randgruppen der Gesellschaft an der Tagesordnung ist und nicht darauf reagiert wird.
Aufgrund der Vorgeschichte des Dessauer Polizeireviers hätten sowohl Sie, Herr Preissner, als auch die Stendaler Kripobeamten dem Dessauer Polizeirevier gegenûber besonders misstrauisch sein mûssen. Sie hingegen haben die õffentlich bekannte rassistische Alltagspraxis der Dessauer Polizei ignoriert und gehen im Gerichtsverfahren ganz offensichtlich ûber die widersprûchlichen Aussagen der Polizeibeamten März und Scheibe hinweg. Wir, die Initiative, werfen Ihnen vor, dass Sie sich bereits kurz nach dem Tod von Oury Jalloh auf die abwegigste, die Selbstentzûndungsthese als alleinige Mõglichkeit der Todesursache festgelegt haben. In diesem Sinne haben Sie gezielt an einer Manipulation der Ermittlungsergebnisse gearbeitet. Anhand der oben angefûhrten Indizien halten wir Ihnen vor, dass Sie mit Ihrer Anklageschrift scheinbar bewusst die Õffentlichkeit an der Nase herumfûhren wollen. Die einseitige Ausrichtung Ihrer Ermittlungsarbeit werten wir als bewusstes Täuschungsmanõver, um unbequemen Fragen bezûglich der Klärung der Todesursache von Oury Jalloh ausweichen zu kõnnen.
Entgegen ihrer Anklageschrift geht es uns in diesem Prozess nicht um den Brandverlauf und ob Schubert in der Lage gewesen wäre, Oury Jalloh das Leben retten zu kõnnen oder nicht. Es geht uns um die zentrale Frage, wie das Feuer zustande kam und wie Oury Jalloh folglich gestorben ist. Solange Sie die Frage nach der Todesursache von Oury Jalloh ignorieren, wird sich auch die Frage nach der Schuldigkeit von Andreas Schubert vor dem Magdeburger Landgericht nicht klären lassen.
Alles deutet darauf hin, dass Sie direkt an der Vertuschung des Mordes an Oury Jalloh beteiligt sind. Ihr Amt ist der Aufklaerung von Morden an der Õffentlichkeit
verpflichtet, doch durch bewusste Entscheidungen haben Sie dem zuwider gehandelt. Wir sind der Meinung, dass in Dessau genug gemordet wurde. Alberto Adriano und Oury Jalloh sind die Opfer eines rassitischen Konsens, der in Sachsen-Anhalt zwischen Bevõlkerung, Polizeiapparat, Innenministerium und Justiz besteht.
Brechen Sie jetzt Ihr Schweigen hinsichtlich der ungeklärten Todesursache von Oury Jalloh! Herr Preissner, erheben Sie endlich die Mordanklage!
Wir kõnnen nicht vergessen, was am 7. Januar 2005 passiert ist. Wir werden nie aufhõren nach der Wahrheit zu fragen!
Break the Silence!
Oury Jalloh – Das war Mord!