Berlin, 11.07.2016
Am 20. September 2015 wurde Luke Holland, ein junger Brite, in Berlin erschossen. Mein Kollege Onur Özata und ich haben die Eltern Lukes als Nebenkläger im Strafverfahren vertreten. Gestern wurde Rolf Z. wegen Mordes zu 11 Jahren und 7 Monaten Haft verurteilt. Ich halte die Strafhöhe für vertretbar, insbesondere weil Rolf Z. schon 63 Jahre alt ist.
Ich habe aber Probleme mit der Urteilsbegründung. Das Gericht hat das Mordmerkmal „Heimtücke“ für gegeben gehalten. „Niedrige Beweggründe“ hielt das Gericht hingegen als nicht für zweifelsfrei gegeben. Hier stand „Fremdenfeindlichkeit“ bzw. „Rassismus“ als niedriger Beweggrund im Raum.
Das Gericht argumentierte, zwar sei Nazi-Material in der Wohnung gefunden worden – Hitlerbilder und so weiter. Aber es gäbe keine Zeugen, die beispielsweise hätten berichten können, dass Z. die Nazi-Ideologie ihnen gegenüber vertreten habe.
Das Gericht ist meiner Meinung nach einer falschen Prämisse gefolgt. Es hat „Nazi“ und „Rassist“ synonym verwendet. Meine Meinung ist klar: Jeder Nazi ist ein Rassist, aber nicht jeder Rassist ist ein Nazi. Es gibt Rassisten, die in weiten Teilen ihres Lebens unauffällig sind, aber dennoch rassistisch denken und handeln. Sarrazin ist kein Nazi, aber er ist ein Rassist, um ein Beispiel zu nennen. Ich weiß nicht, ob Herr Z. ein Nazi ist. Wenn jemand in seiner Wohnung Hitlerbilder hortet, dann ist das für mich ein starkes Indiz. Aber es kommt nicht darauf an. Er ist nach meiner Einschätzung „fremdenfeindlich“ (ein dummes Wort – „fremd“ sind die Menschen ja meistens nur in den Augen des Täters). Er hat seine Lebensgefährtin beschimpft, weil diese mit „Kanacken“ Kontakt habe. Er hat in der Kneipe, vor deren Tür er Luke erschoss, darüber geschimpft, dass in der Kneipe „nur noch Englisch“ gesprochen würde. Als Z. die Kneipe verließ, um nur wenige Minuten später mit der Schrotflinte zurückzukehren, telefonierte Luke gerade mit einem Freund in England, auf Englisch. Z. muss ihn gehört haben, als er an ihm vorbeiging. Dann erschoss er Luke. Diese Indizien deuten darauf hin, dass Luke sterben musste, weil er kein Deutscher ist, weil er als „fremd“ und damit als nicht dazugehörend wahrgenommen wurde. Nein, Z. musste kein Nazi sein, um Hass in seinem Herzen zu tragen.
Es hätte für das Strafmaß im Ergebnis wohl keinen Unterschied gemacht. Aber es wäre ein starkes Signal gegen Rassismus gewesen.
Ungeklärt blieb auch, ob und welche Rolle Z. bei der Ermordung von Burak Bektas spielte, dessen Familie Onur Özata, Ogün Parlayan und ich vertreten. Burak wurde im April 2012 auf offener Straße erschossen. Der Täter ist bis zum heutigen Tage nicht ermittelt. Kurze Zeit nach dem Tod Buraks meldete sich ein Zeuge und machte auf Z. aufmerksam. Es gab eine Hausdurchsuchung, in dessen Verlauf man illegale Munition fand. Die Ermittlungen deswegen versandeten aus ungeklärten Gründen. Angeklagt oder gar verurteilt wurde Z. jedenfalls nicht. Auch gab es keine Gegenüberstellung Z.s mit den Freunden Buraks, die zum Teil schwer verletzt die auf sie abgegeben Schüsse überlebt haben. Die Eltern Lukes fragen zu Recht, ob ihr Sohn noch leben würde, wenn man damals die Spur gegen Z. konsequent verfolgt hätte. Irritiert waren Onur und ich, dass die Staatsanwaltschaft im Verfahren gegen Z. sich zunächst dagegen wandte, die Akten zum Mordfall Burak Bektas zum Verfahren gegen Z. beizuziehen um zu prüfen, ob Z. auch in den Mord an Burak verwickelt war. Wir waren auch deswegen irritiert, weil der zuständige Staatsanwalt im Übrigen sehr vorbildlich, sachkundig und akribisch gewirkt hatte.
Burak ist tot. Luke ist tot. Beide werden nicht mehr nach Hause kommen. Sie sind um ihr Leben betrogen worden. Lukes Mutter sagte in ihrem Schlusswort: „Wir sind zu lebenslanger Trauer verurteilt worden“. Diese Worte gelten auch für die Familie von Burak. Umso wichtiger ist es, dass der Staat a l l e s tut, um die Wahrheit zu ermitteln und weitere Taten zu verhindern.
Ich möchte mich, auch im Namen der Eltern von Luke, bei der Burak Initiative bedanken. Die Freundinnen und Freunde von der Initiative sind zu jedem einzelnen Verhandlungstag gekommen und haben sich mit der Familie Holland solidarisch gezeigt. Es tut gut zu wissen, dass man nicht alleine ist. Eine Freundin von der Initiative ist vor dem Gericht von einem Rassisten der „Reichsbürgerbewegung“ verletzt worden, als sie zur Verhandlung gegen Z. kommen wollte. Das ist eine Geschichte für sich und ich bin gespannt, ob am Ende der Täter in dieser Sache strafrechtlich verfolgt wird.
Ganz herzlich möchte ich mich bei Melek Bektas bedanken, der Mutter von Burak. Sie hat die Hollands zu sich nach Hause eingeladen, damit diese sich in Berlin nicht alleine fühlen müssen. Sie ist auch zur Verhandlung gekommen um sich solidarisch zu zeigen. Sie ist ein toller Mensch.
Diese Verhandlung ist zu Ende. Der Kampf geht weiter.