Überraschend werden zwei Berliner Polizisten wegen brutaler rassistischer Kontrolle verurteilt
ein Prozessbericht von Kira Güttinger
25. Mai 2010, 17:45 Uhr, Tempelhofer Damm: Amare B., ein junger Afro-Deutscher, möchte eine Wohnung besichtigen, hat einen Termin mit einem Makler vereinbart und wartet am vereinbarten Ort. Sein Handy klingelt, B. nimmt den Anruf an. Der Makler ruft an: er sagt den Besichtigungstermin ab. Doch B. kann das Gespräch mit dem Makler nicht zu Ende führen, denn zwei Männer kommen auf ihn zugestürmt, einer von ihnen reißt ihm das Handy vom Ohr, der andere packt seinen linken Arm und dreht ihm diesen schmerzhaft in den „Polizeigriff“ auf seinem Rücken. Alles geht blitzschnell, B. hat Todesangst, befürchtet Nazis greifen ihn an. Er wird zu Boden gedrückt und mit Knien fixiert, erleidet dabei eine Verletzung am Auge und mehrere Rippenprellungen. Ein weiterer Mann, bewaffnet mit einem Tonfa-Schlagstock, kommt dazu. B wird schließlich am Boden liegend mit Handschellen gefesselt. Er schreit um Hilfe: „Ich bin nur ein Mensch, was habe ich gemacht?“
Nach der Festnahme wird er in ein Zivil-Auto geschleppt und seine Jackentaschen werden durchsucht. Ihn einfach nach seinen Ausweispapieren zu fragen, wie es bei Personenkontrollen normalerweise üblich ist, kommt für die rabiaten Polizeibeamten offenbar gar nicht in Frage. Nach der erfolglosen Überprüfung fordern die Beamten B. auf zu gehen. Auf die Frage was geschehen sei, bekommt B. die ernüchternde Antwort, er sei zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Plausibler dürfte sein, dass er die falsche Hautfarbe hatte.
Verzerrte Wahrnehmungen und kollektiver Gedächtnisschwund
Anfang August 2011 begann vor dem Amtsgericht Tiergarten der Prozess gegen die beiden Polizeibeamten Sascha G. und Frank S.. Ihnen wurde gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung im Amt, körperliche Misshandlung und Nötigung zur Last gelegt.
Die Geschichten, die die beiden Angeklagten vor Gericht präsentierten, waren ein dumpfe Mischung aus Bagatellisierung, Täter-Opfer-Umkehr und Lügen. Laut ihrer Aussagen habe sich Amare B. auffällig verhalten, da er mehrmals in ihre Richtung geblickt und dabei telefoniert habe. So sei er in den Kreis der Verdächtigen geraten, die kurz zuvor Süßigkeiten im nahe gelegenen Aldi-Supermarkt gestohlen hätten.
Den Betroffenen und im Prozess als Nebenkläger auftretenden B. bezeichneten Sascha G. und Frank S. ein ums andere Mal als „vermeintlich Geschädigten“, unterstellten ihm Verständigungsprobleme „wegen der Sprache“. Sascha G., ein sportlicher Polizeibeamter mit Bauchtasche und Gel-Frisur, meinte, eine derartige Überprüfung sei ganz normal, B.s auffälliges Verhalten würde die „polizeiliche Maßnahme“ rechtfertigen. Frank S., seit über 30 Jahren im Dienst, will Amare B. die Überprüfung damit erklärt haben, dass das „in Deutschland so üblich“ sei und führt vor Gericht aus, dass es kein Problem gegeben hätte, wenn B. sein Handy widerstandslos abgegeben hätte.. Durch sein unkooperatives Verhalten habe B. den Vorfall letztendlich selbst verschuldet. Dass die Kontrolle eines Handys und persönlicher Daten ohne richterlichen Beschluss nicht rechtens ist, stand für die Beschuldigten nicht zur Debatte.
Während der Aussage des Betroffenen, der erneut in allen Einzelheiten das traumatische Erlebnis zu schildern hatte, unterhielten sich die Angeklagten und lachten mehrmals hämisch auf. Erst als eine im Publikum sitzende Frau, offensichtlich eine Bekannte von Frank S., lautstark eine abfällige Bemerkung über Amare B. machte, wurde der Prozess unterbrochen. Die Einlassungen der Nebenklagevertreterin, Rechtsanwältin Jutta Hermanns, kommentierten die Angeklagten an allen drei Prozesstagen mit Kopfschütteln, Lustlosigkeit und zynischem Grinsen.
Dass sie diejenigen gewesen seien, die Amare B. festgenommen und dabei verletzt hätten, streiten die beiden einvernehmlich ab und belasten stattdessen die beiden später zur Unterstützung eintreffenden Kollegen vom Landeskriminalamt (LKA). Die zum Vorfall geladenen Kolleg_innen konnten sich im Sinne des polizeilichen Korpsgeistes an nichts erinnern.
Es blieb der Anwältin B.s vorbehalten darauf hinzuweisen, dass die Tat in einem rassistischen Zusammenhang stehen und Amare B. nur auf Grund seiner Hautfarbe verdächtigt, festgenommen und verletzt worden sein könnte. „Ich bin mir sicher, wenn ich dort gelaufen wäre, wäre ich nicht am Boden gelegen, weil ich weiß bin“, sagte Jutta Hermanns in ihrem Plädoyer.
Die Angeklagten und ihre Verteidiger bezeichneten diese Spekulationen als völlig abwegig und versicherten, sie hätten eine Person mit weißer Hautfarbe genauso behandelt. Im selben Atemzug behaupteten sie, B. habe enorme Verständigungsprobleme und verstehe selbst einfache Fragen nicht. Sich selbst übertroffen hat sich einer der Verteidiger aber schließlich mit der Aussage, er könne gar nicht verstehen, dass B. das Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat verloren habe, schließlich müsse ihm diese Maßnahme, von der er betroffen war, doch Vertrauen in den Rechtsstaat geben, zeige sie doch, dass er in einem Land lebe, in dem „der Polizeiapparat zum Schutze seines Volkes“ im Einsatz sei.
Die Plädoyers und das überraschende Urteil
Die lustlose Staatsanwältin plädiert auf Freispruch, aus ihrer Sicht sei die Handyüberprüfung voll und ganz nachvollziehbar und der Betroffene habe einfach den Zuruf überhört, dass es sich um eine polizeiliche Maßnahme gehandelt habe. Sie verbuchte den Vorfall unter „dumm gelaufen“ und betonte, dass sie strafrechtlich nicht die geringste Relevanz für eine Ahndung sehe. „Wenn man von der Polizei zu Boden gebracht wird, hat man halt die Knie im Rücken. Das ist halt so“, sagte sie. Die Verteidigung schwadronierte über polizeiliche Tätigkeitsfelder im Spannungsfeld der Freiheitlich-demokratischen Grundordnung und wies jeden Rassismusvorwurf zurück.
Überraschend dann die Entscheidung des Gerichts: Es verurteilte die beiden Angeklagten zu 6- bzw. 7-monatigen Bewährungsstrafen und die Zahlung eines Schmerzensgeldes an den Betroffenen. In der Urteilsbegründung fand der Richter klare Worte, in denen er die Maßnahme als strafbar wertete, da sie zum einen außerhalb jeder Ermächtigungsgrundlage lag, zum anderen völlig unverhältnismäßig war. Ein ehrliches und offenes Wort der Entschuldigung wäre angemessener gewesen als das arrogante Gelächter der beiden Angeklagten.
Resümee
Racial Profiling, also die Verdächtigung und Verfolgung von Personen aufgrund phänotypischer Merkmale wie der Hautfarbe, ist in Deutschland und Europa zwar offiziell verboten, unter dem Deckmäntelchen der „ereignis- und verdachtsunabhängigen Kontrollen“ jedoch gang und gäbe. Es ist deshalb nicht überraschend, dass der Kontext institutionellen Rassismus in Fällen wie diesem nicht oder nur von Seiten der Betroffenen skandalisiert wird. Obwohl der Zusammenhang offensichtlich ist, bleiben behördlicher Rassismus und die wahrscheinlich rassistischen Einstellungen der eingesetzten Beamten im Verfahren unerwähnt. Dennoch ist das Urteil in seiner Deutlichkeit überraschend und positiv zu bewerten. Denn Prozesse gegen Polizeibeamt_innen im Dienst enden meist mit Freispruch oder Einstellung des Verfahrens. Häufig erfolgen auf Anzeigen gegen Polizist_innen Gegenanzeigen, die aus den Betroffenen von Polizeigewalt und Rassismus im Handumdrehen Täter und Beschuldigte macht.