Gemeinsame Pressemitteilung vom Flüchtlingsrat Berlin, ReachOut und KOP
Immer wieder erreichen den Flüchtlingsrat Berlin, ReachOut und KOP Beschwerden von geflüchteten Jugendlichen und Sozialarbeiter*innen über
unverhältnismäßige Polizeieinsätze in Berliner Jugendhilfeeinrichtungen. Der Flüchtlingsrat hat bereits 2019 über zwei Fälle berichtet, bei denen geflüchtete Jugendliche nachts bzw. früh morgens durch die überfallartig eindringende Polizei mit gezogener Waffe bedroht und eingeschüchtert wurden.(https://fluechtlingsrat-berlin.de/wp-
content/uploads/pm_23_7_19_polizei_in_jugendhilfeeinrichtung.pdfhttps://fluechtlingsrat-berlin.de/wp-content/uploads/pm_27_5_19_polizei_in_jugendhilfeeinrichtung.pdf) Die Vorkommnisse wurden im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses besprochen. Gegen einen Polizeibeamten wurde ein Strafermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt und Sachbeschädigung eingeleitet. Doch auch weiterhin berichten uns junge Geflüchtete von Gewalterfahrungen mit der Polizei, zuletzt im November 2020, als Polizeibeamt*innen in eine Jugendhilfeeinrichtung eindrangen und einen unbeteiligten Jugendlichen fesselten.
Flüchtlingsrat Berlin, Reach Out und KOP fordern eine sofortige Änderung der Praxis der Berliner Polizei und verbindliche Regelungen zur Achtung
der nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz betreuten Wohneinrichtungen als Schutzräume für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.
Am 11.11.2020 gegen 10 Uhr klingelten zivile Polizeibeamt*innen an der Tür einer Wohngemeinschaft einer Jugendhilfeeinrichtung in Reinickendorf.
Noch bevor der Jugendliche A. (19 Jahre alt, Geflüchteter aus dem Libanon) öffnen konnte, wurde die Tür von außen ausgehebelt und vier
Polizeibeamt*innen drangen „laut und aggressiv“ (O-Ton von A.) in die Wohnung ein. Sie trugen Waffen und kugelsichere Westen, aber keine Mund-
und Nasenbedeckung. Weder wiesen sie sich aus, noch zeigten sie einen Durchsuchungsbeschluss.
Die Polizist*innen forderten A. auf, sich mit dem Gesicht auf den Boden zu legen, und fesselten seine Hände auf dem Rücken. A. verstand das
Vorgehen der Beamt*innen nicht, da sie ausschließlich Deutsch mit ihm sprachen. Sie zeigten ihm ein Foto eines jungen Mannes, den A. jedoch
nicht kannte.
Die Beamt*innen durchsuchten auch das Zimmer und den Schrank von A. und verschafften sich Zugang zu weiteren Räumen. Nach 10 bis 15 Minuten
lösten sie die Fesseln von A. und verließen die Wohnung, nachdem sie die Personaldaten von A. aufgenommen hatten.
„Wir verurteilen das Eindringen in den Schutzraum von geflüchteten unbegleiteten Jugendlichen, das Durchsuchen der Wohnung und das brutale
Vorgehen der Polizei gegen einen besonders Schutzbedürftigen auf Schärfste, dieses Verhalten ist unverantwortlich und absolut unverhältnismäßig,“ sagt Nora Brezger vom Flüchtlingsrat Berlin.
Auf telefonische Nachfrage seitens des Trägers bei dem Kripo-Einsatzführer am nächsten Tag konnten zunächst keine genauen Aussagen getroffen werden, warum die Wohnung durchsucht worden war. Die Polizei teilte lediglich mit, dass sie einen anderen jungen Menschen gesucht hätten, der zwar nicht in der Wohnung lebe, aber mit Bewohnern der Unterkunft befreundet sei. A. ist durch den Gewaltvorfall extrem verunsichert und psychisch stark belastet.
Die Kriminalpolizei habe sich bei der Aufklärung des Vorfalls bisher unkooperativ verhalten, heißt es von Trägerseite. Bis heute sei kein
gültiger Durchsuchungsbeschluss vorlegt worden. Außerdem sei weiterhin unklar, wie es dazu kommen konnte, dass einer ihrer Schutzbefohlenen
ohne Grund gefesselt und die Räumlichkeiten ohne richterlichen Beschluss durchsucht wurden.
Der Flüchtlingsrat Berlin, ReachOut und KOP fordern Innensenator Geisel und Polizeipräsidentin Slowik auf, diesen Vorfall lückenlos aufzuklären
und als Konsequenz aus dem Handeln der Beamt*innen in diesem und den vorigen Fällen die Praxis der Polizei ab sofort zu ändern. Weiterhin fordern wir Sandra Scheeres als für die Einrichtungen zuständige Senatorin auf, im Berliner Senat verbindliche Regelungen für Polizeieinsätze in Jugendhilfeeinrichtungen durchzusetzen, die sicherstellen, dass sich solche Vorfälle nicht wiederholen.
Pressekontakt:
Biplab Basu, ReachOut, Tel. 0179 5441 790, biplab_basu@reachoutberlin.de
Nora Brezger, Flüchtlingsrat Berlin, Tel: 030 224 76 311, brezger@fluechtlingsrat-berlin.de