KoopsInterview mit Beate Böhler als Vertreterin der Nebenklage im Fall Dennis

27. Juli 2010by KOP Importer0

Am 3. Juli wurde das Urteil im Prozess gegen die Polizeibeamten in Neuruppin verkündet. R., der Dennis J. am 31. Dezember 2008 in Schönfließ erschoss, wurde wegen Totschlags in „minderschwerem Fall“ zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Seine beiden Kollegen, die der Strafvereitelung im Amt angeklagt waren, wurden wegen versuchter Strafvereitelung im Amt zu Geldstrafen verurteilt.

KOP hat am 27. Juli 2010 die Vertreterin der Nebenklage in diesem Prozess Beate Böhler interviewt.

KOP: Welche Voraussetzungen mussten erfüllt sein, damit es überhaupt zur Prozesseröffnung kam?
Beate Böhler: In dem Fall hatte ich den Eindruck, dass der wichtigste und entscheidende Punkt war, dass die Staatsanwaltschaft eine aus Brandenburg war. Diese Staatsanwaltschaft hat sich auch in solchen Fällen als engagiert gezeigt, und nicht als von vorne herein unwillig, gegen die Polizei zu ermitteln. Ein wichtiger Punkt ist auch, dass die Staatsanwaltschaft die Aussagen der beiden anderen Polizeibeamten relativ schnell als unglaubwürdig eingestuft hat. Das hat Ausnahmecharakter. Ein weiterer Unterschied zu den Verfahren, in denen es oft nicht zur Anklage kommt, war, dass die drei beschuldigten Beamten nicht in ihre Dienststelle kamen. Normalerweise läuft das so: Die Polizist_innen gehen zurück in ihren Abschnitt, schreiben in Ruhe den Sachverhalt zusammen, und zwar über die eigene Zeugenaussage hinaus auch das, was sie zusätzlich in Erfahrung gebracht haben. Das war hier nicht so, sondern sie kamen auf den Polizeiabschnitt in Hennigsdorf/Brandenburg, und hatten hier nicht ganz so viel Definitionsmacht, wie sie sie gehabt hätten, wenn sie in ihrem eigenen Bereich hätten agieren können. Sie wurden als Zeugen beziehungsweise Angeklagte vernommen und ein anderer Polizist hat den Sachverhalt aufgenommen.
Gab es in der ersten Aussage schon eine Notwehrversion?
R. selbst hat sich ja am Anfang nicht geäußert. Die Einlassung kam erst später. Bei der Einlassung wurde nicht gesagt: „Ich habe in Notwehr gehandelt“, sondern die Einlassung des Anwalts war distanziert und analysierte den Akteninhalt mit der Folge, dass der gesagt hat: „Ja, es gibt hier die Notwehrvariante“. Was aber die Notwehr nahe gelegt hat, waren die Angaben der beiden Zeugen, also der Mitangeklagten. Die haben jeweils eine Situation erzählt, in der sie selbst einer Gefährdung ausgesetzt gewesen wären, die der R. durch seine Schüsse hätte abwehren wollen.
Wie beurteilen Sie die Verurteilungen? Sind sie ein Erfolg, ein Misserfolg?
Ich denke, das ist ein großer Erfolg. Auch wenn man sich über das Strafmaß ärgern mag. In zwei Punkten finde ich es außergewöhnlich erfolgreich: Nämlich, dass die Verurteilung wegen Totschlags, also wegen des vorsätzlichen Tötungsdelikts, stattgefunden hat und, dass die beiden Mitangeklagten wegen versuchter Strafvereitelung im Amt verurteilt worden sind. Das finde ich gut und sehr außergewöhnlich. Wir sind gewohnt, dass die Polizeibeamten, die mitangeklagt oder dabei gewesen sind, Geschichten erzählen, bei denen sich jedem denkenden Menschen die Fußnägel hochkringeln. Trotzdem wird so getan, als ob das vertretbar, glaubwürdig, nicht widerlegbar sei. Das hat das Gericht hier nicht gemacht. Der Richter hat klare Worte dafür gefunden, wie absurd er findet, dass man ihm weiß machen wollte, dass die Beamten nichts gehört haben wollen. Er hat klar gesagt, dass sie die Schüsse wahrgenommen haben müssen und alles andere nicht glaubhaft ist. Der Sachverhalt war dafür natürlich auch geeignet: Wenn jemand ein ganzes Magazin aus nächster Nähe auf einen Fliehenden ballert und dann suggeriert, er habe in Notwehr geschossen, ist das schwer nachvollziehbar. Wenn jemand wegfährt, und der Polizist noch weiter schießt, dann will der eine Flucht verhindern und handelt nicht in Notwehr oder Nothilfe. Das war hier eindeutig.

Außerdem gab es unabhängige Zeug_innen, die man nicht von vorne herein alle völlig ausblenden konnte oder wollte . Das ist übrigens auch ein wichtiger Punkt dafür, dass es überhaupt zur Anklage kam. Die Zeug_innen haben Wahrnehmungen gemacht, die nicht in Einklang zu bringen waren mit dem, was die Polizeibeamten erzählt haben. Es wird in vergleichbaren Verfahren häufig vermieden, dass Zeug_innen sich trauen, etwas zu sagen. So war es in dem Fall „D.G.“, da sind die Zeugen massiv eingeschüchtert worden, um genau diese Situation zu vermeiden.

Welche Ungereimtheiten in den Ermittlungsarbeiten fördert der Prozess zutage?
Es gab sehr viele Ermittlungsfehler der Polizei, sowohl der Brandenburger, als auch der Berliner Polizei. Es ist schwer zu sagen, ob hier Polizeibeamte geschützt wurden oder ob es sich einfach nur um polizeiliche Unfähigkeit handelte. Da greift beides ineinander. Bei den Polizeibeamten aus Hennigsdorf konnte man den Eindruck haben, dass sie mit solchen Verfahren bisher nicht befasst waren und ein bisschen davor standen, wie der Ochse vorm Berge. Viele haben ja auch gesagt, dass sie sonst keine Vernehmungen machen und Ähnliches. Dass man die Aussagen von Zeug_innen, die ein Tötungsdelikt wahrgenommen haben, unterschreiben lässt, das müsste eigentlich jede/r Beamte/Beamtin wissen. Dass man die eigenen Wahrnehmungen, auch wenn sie dienstlich nicht abgefragt werden, wenigstens selbst einmal für sich aufschreibt, falls sie nochmal angefordert werden, das müsste auch jede/r wissen. Das ist aber alles nicht passiert. Auffällig war ein Bestreben der beteiligten Polizeibeamten, bei einigen mehr, bei anderen weniger, diesen Polizeibeamten zu schützen. Da wurden plötzlich Beschuldigtenrechte in der Weise verteidigt, wie es ja eigentlich auch sein sollte, aber normalerweise von der Polizei nicht unbedingt forciert wird. Das war bei dem Zeugen aus Hennigsdorf, dem Polizeibeamten, besonders deutlich, der sich durchaus an Sachen erinnern konnte, die für die (beschuldigten) Polizeibeamten ungünstig waren. Er hat auch darauf bestanden. Und trotzdem hat er gesagt: „Ja, ich habe den immer wieder belehrt. Der wollte immer wieder spontan etwas sagen. Ich habe dem immer wieder gesagt, nicht, das ist jetzt nicht gut für dich, du hast doch das Recht zu schweigen. Ich wollte nicht, dass der etwas sagt.“ So geht man üblicherweise nicht mit dem Verdächtigen eines Tötungsdeliktes um. Aber am Auffälligsten, und letztlich skandalös, war der Abschnittsleiter vom Abschnitt 25. Dem habe ich kein Wort geglaubt. Ich empfand ihn als aalglatt, mit einem funktionalen Verhältnis zur Wahrheit. Dass ein Vorgesetzter bei Delikten durch die Polizei direkt an den Tatort fährt und denen sagt, wie sie sich zu verhalten haben, ist Gang und Gebe, aber völlig unvertretbar. Das passiert immer wieder, aber so kann es nicht sein. Das war in der „D.G.r“-Sache übrigens auch so. Der Vorgesetzte fährt direkt hin und instruiert die Beamten, wie sie sich zu verhalten haben. Er hat das als seelsorgerisch motiviert dargestellt, gewährt denen aber die Möglichkeit, miteinander zu sprechen. Das geht überhaupt nicht, dass die Zeugen und der Hauptverdächtige einer Tat erst einmal stundenlang zusammen sitzen und sich unkontrolliert absprechen können. Das hat mit ordentlicher Polizeiarbeit nichts mehr zu tun. Die Kleidung der Personen wurde nicht so nachvollziehbar sichergestellt, wie es bei einem Tötungsdelikt geboten wäre. Hier war nicht einmal herauszufinden, wer die Kleidungsstücke dieser Person beschlagnahmt, eingepackt und aserviert hat. Das sollte wohl auch nicht mehr nachvollzogen werden, weil sich sonst erwiesen hätte, dass es die von B. behaupteten Handschuhe nicht gegeben hat. Das hätte zu seiner Einlassung nicht mehr gepasst. Die Tatortarbeit, denke ich, war hier und da schon fehlerhaft. Dass man da ein Auto übersieht, das dort gestanden haben kann, ist eigentlich auch unglaublich. Dass man Projektile nicht findet, obwohl man weiß, wie viele es sein müssen, da hört man doch nicht auf zu suchen, bevor man alle hat. Es gibt signifikant viele Ermittlungspannen hier, aber man findet auch in anderen Verfahren erstaunlich viele Ermittlungspannen.
Am zweiten Tag haben vier Zeugen_innen gesagt, dass es Fehler in den polizeilichen Vernehmungsprotokollen gab. Es gab Aussagen: „Das habe ich nicht gesagt“. Die zweite Zeugin hatte eine Zeichnung anfertigen müssen, und die Zeichnung wurde ihr vorgehalten, und sie sagte, diese Zeichnung hätte sie nicht gemacht. Sie erinnere sich genau, dass sei nicht ihre Zeichnung. Es gab Vorhaltungen aus den polizeilichen Vernehmungsprotokollen, da kam auf einmal etwas vor, von dem der Zeuge sagte, dass das zugefügt sei. Im Publikum hatten wir den Eindruck, die Polizeiprotokolle seien zum Teil gefälscht gewesen. Da hatte ich den Eindruck, dass der Anklagevertreter genervt war, weil alles keinen Gehalt hatte, was sie dort vorgehalten haben.
Ja natürlich. Die Widersprüche sind für die Bewertung der Zeugenaussagen, für den Beweiswert, tödlich.
Der Richter diskreditierte dann die Verwertbarkeit von polizeilichen Vernehmungsprotokollen insgesamt und sagte, er will den Vernehmungsbeamten hören, weil es so augenfällig war, dass es viele Zeug_innen waren, die gesagt haben: „Daran erinnern wir uns nicht, dass wir das so gesagt haben.“ Oder aber „So haben wir das nicht gesagt.“ Oder aber „Da steht etwas nicht drin.“
Bestimmte Zeug_innen sind nur ganz nebenbei mit den Aussagen: „Ja, ich habe davon nichts mitbekommen.“, aufgenommen worden. Eine Zeugin hat dann dargelegt, dass sie durchaus Geräusche gehört hatte, von denen sie nicht gleich gedacht hatte, das ist ein Schuss. Sie hat gesagt, das sei ganz außergewöhnlich gewesen und obwohl sie drei Häuser weiter wohnte, mit herunter gelassenen Jalousien, habe sie das gehört, da sei etwas kaputt gegangen, oder ähnliches. Bei ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung stellte sich heraus, dass sie viel mehr Wahrnehmungen gemacht hatte, als aufgenommen worden sind. Da beschleicht einen natürlich schon die Vermutung, dass die ermittelnden Polizeibeamten diesen vielen unabhängigen Zeug_innen möglichst wenig Bedeutung geben wollten. Wer nicht unbedingt erforderlich ist, wird gar nicht erst aufgenommen. Oder es wird aufgenommen, jemand habe nichts wahrgenommen oder die Aussagen werden begradigt. Das kann man im Nachhinein jetzt natürlich nicht mehr feststellen. Was dafür spricht ist, dass signifikant oft eine Unterschrift vergessen worden ist. Warum gibt man den Leuten das nicht zum Lesen? Und diese doch eklatanten Widersprüche, die sich dann aufgetan haben, sprechen für sich. Grundsätzlich ist beides möglich. Die Beamten irren oder die Zeugen irren. Die Art der Irrtümer und die Vielzahl der Irrtümer lassen natürlich schon vermuten, dass bei der Polizei durchaus eine Tendenz bestand, die Aussagen in eine bestimmte Richtung zu drängen.
Die Urteilsbegründung: Welche Argumentationen gab es für die Bewährungsgründe für R. und für die Minderungsgründe für B. und St.?
Bei R. war die Frage des „minderschweren Falls“ ein wichtiger Punkt. Es stellt sich die Frage, wieso das ein minderschwerer Fall ist, wenn jemand in der Ausübung seiner polizeilichen Arbeit ein ganzes Magazin auf einen Fliehenden abfeuert? Da hatte ich den Eindruck, dass der Richter Argumentationsnöte hat. Der minderschwere Fall wurde mit der besonderen Gefährlichkeit des Berufes, in dem man sich mit gefährlichen Straftätern auseinandersetzen muss, begründet und ähnliches mehr. R. habe letztlich vielleicht auch etwas rechtsstaatlich Gebotenes gewollt, nämlich die Festnahme. Auch die Aufgeregtheit in der Situation war ein Argument, das aber nicht annähernd plausibel ist. Von jemandem, der Polizeibeamter ist und sich mit diesen Festnahmen auskennt – und so wurde sein Profil dargestellt – darf Nervenstärke erwartet werden. Wieso soll der in dieser Festnahmesituation aufgeregt sein? Es wäre eine ganz normale, wenn auch möglicherweise erfolglose, Festnahme gewesen, wenn R. nicht geschossen hätte. Er hat die Situation eskaliert. Denn letztlich verfügt er über eine extreme Gefährlichkeit, weil er eine Schusswaffe hat und diese unter bestimmten Umständen benutzen darf. Er repräsentiert das staatliche Gewaltmonopol. Das ist eher strafschärfend. Eine Festnahme um den Preis der Tötung des Fliehenden kann, im Gegenteil, ein niedriger Beweggrund im Sinne eines Mordmerkmals sein. Der berufliche Erfolg wird über das Leben eines Anderen gestellt. Das kann kein minderschwerer Fall sein. Rechtlich finde ich das unvertretbar. Meiner Ansicht nach hätte man an der Mindeststrafe unter fünf Jahren nicht vorbeikommen können. Natürlich ist vorstellbar, dass der Verurteilte in Haft nicht gut angesehen wäre. Das sind aber andere auch nicht. Es kommen auch zarte Jungs um die 20 nach Plötzensee und werden völlig fertig gemacht Das interessiert in der Regel keinen Menschen. Doch rechtfertigt das weder eine derartig niedrige Strafe, noch deren Aussetzung zur Bewährung.

Bei den anderen Beiden, die wegen versuchter Strafvereitelung im Amt verurteilt wurden, ist es nicht angemessen denen schuldmindernd zu Gute zu halten, dass sie Solidarität empfinden mit ihren Kollegen und die schützen wollen. Das sind diejenigen, die Straftaten aufklären sollen. Das ist ihre Aufgabe. Wenn sie in ihrer Eigenschaft als Polizeibeamte aber die Aufklärung vereiteln, ist das Amtsmissbrauch. Das ist Missbrauch ihrer größeren Machtfülle. Das ist strafverschärfend und nicht strafmildernd zu werten. Diese Leute sind in besonderem Maße zur Wahrheit verpflichtet. Sie werden, wenn auch unzutreffenderweise, für besonders glaubwürdig gehalten. Man muss von der Polizei erwarten können, dass sie ihre Macht nicht missbraucht. Ich halte die Verharmlosung polizeilichen Machtmissbrauchs für eine besorgniserregend resignative gesellschaftliche Wertung.

Welche Einschätzung ergibt sich hinsichtlich des Prozessverlaufs und des Urteils? Jetzt noch einmal zusammenfassend. Welche Faktoren würdest Du positiv, welche negativ hervorheben? Aber auch: welche Erfahrungen gibt es in Polizeiprozessen insgesamt?
Typisch ist, dass die Polizeibeamten sich vorher besprechen. Typisch ist, dass der Vorgesetzte hin fährt und den beteiligten Polizeibeamten sagt, wie sie sich verhalten sollen. Typisch ist, möglichst viele unabhängige Zeug_innen in irgendeiner Weise nicht aktenkundig werden (zu lassen), ihre Wichtigkeit herunterzuspielen. Das hat hier nur eine geringe Intensität gehabt.

In anderen Verfahren, nehmen wir „D.G.“ oder „K.Q.“, und in vielen anderen findet das viel massiver statt. Die Polizeibeamt_innen nehmen die Zeugen vor Ort schon nicht auf, weil sie diejenigen sind, die verdächtig und später angeklagt sein können. Es geht hier bis zu Strafanzeigen und Einschüchterungen gegen Zeug_innen. Wenn es sich jetzt um ausländische Zeug_innen handelt, wird fast immer deutlich gemacht, „Zu dir werden wir schon irgendetwas finden“. Da gibt es offene Bedrohungs- und Nötigungsszenarien. In dem Fall „D.G.“ gab es mehrere Zeugen, die alles gesehen und die nichts gesagt haben, weil sie keine Konfrontation mit der Polizei wollten. Ihnen ist suggeriert worden: Wenn sie eine Aussage machen, dann wird es Ärger geben.

Diese Intensität hatte das hier nicht. Es sind viele Aussagen aufgenommen worden. Das führe ich darauf zurück, dass die ermittelnden Polizeibeamten nicht aus derselben Dienststelle, nicht einmal aus derselben Polizei waren.

Der Staatsanwalt meinte es ernst. Da kenne ich keinen anderen, der es in solchen Verfahren ernst meint. Der wollte ermitteln. Der ist jedem Hinweis nachgegangen. Der hat die Zeugen notfalls selbst befragt. Der hat nichts unversucht gelassen, die Dinge aufzuklären. Das ist ein wesentlicher Faktor.

In anderen Verfahren erlebe ich das Gegenteil, nämlich dass die Verfahren total verschleppt werden, die Akten sind nicht auffindbar, es wird seitens der Staatsanwaltschaft überhaupt nicht nachermittelt und ähnliches. Dann wird das Verfahren eingestellt und man muss Klageerzwingungsantrag stellen. Das gab es in diesem Verfahren alles nicht.

Glaubst Du, dass es auch eine Rolle spielt, wie die Öffentlichkeit mit so einem Geschehen umgeht? Es schien, dass eigentlich kaum ein Fall so präsent in den Medien war, sowohl im Boulevard als auch seriösen Fernsehmagazinen wie z.B. „Klartext“. Sie haben versucht nachzuvollziehen, wie ein Polizist in einer solchen Situation sich generell verhalten soll. Sie haben einen Professor befragt und Zweifel an der Professionalität dieses ganzen Geschehens in Schönfließ gehegt. Spielt die Behandlung eines solchen Falles in der Öffentlichkeit eine Rolle für die Eröffnung eines Verfahrens?
Das glaube ich unbedingt. Es spielt eine große Rolle in diesem Fall. Jemand wird auf diese Art und Weise erschossen. Viele Leute haben es gesehen und es wird eine krude Geschichte dazu erzählt. Selten ist es so, dass ein solcher Fall so einhellig durch die Medien geht und dass gefragt wird, „Was hat der da gemacht?“. Das war sofort in einer Art und Weise, die eben nicht ausgeschlossen hat, dass der Polizeibeamte eben tatsächlich der Täter gewesen ist. Während man ja üblicherweise ansonsten lediglich in linken Medien so etwas findet. Auch auf einer abstrakteren Ebene wurde gefragt: Was erwarten wir von unserer Polizei? Darf so etwas passieren? Wie ist die Ausbildung? Wieso wird so etwas akzeptiert? Diese ganzen Hintergrundfragen halte ich für sehr wichtig. Sie klangen im Prozess an, wurden aber in den Medien schon vorher thematisiert. Ich würde in solchen Fällen immer dazu raten, dass man versucht die Öffentlichkeitsarbeit voranzutreiben.
Wie geht es weiter?
Als Nebenkläger_innen haben wir nur eingeschränkte rechtliche Möglichkeiten. Die Verteidigung hat Revision eingelegt. Das heißt, dass der Bundesgerichtshof darüber entscheiden wird, ob es Rechtsfehler gibt. Wenn ja, wird das Urteil aufgehoben und das Verfahren noch einmal aufgerollt. Anderenfalls bleibt es bei der jetzigen Entscheidung.

Auch die Nebenklage hat Revision eingelegt, wohl wissend, dass diese dann unzulässig ist, wenn mit ihr lediglich das Strafmaß einschließlich der Annahme des minderschweren Falls angegriffen wird. Die Revision der Nebenklage ist nur zulässig, wenn damit eine Verurteilung wegen Mordes angestrebt wird. Die Frage ist, ob man das begründen kann. Wenn man Karriereglück über das Leben anderer stellt und zur Festnahme hinterher schießt, hätte wenigstens erwägt werden müssen, dass das niedrige Beweggründe sind und damit Merkmale für Mord erfüllt sein könnten.

Innerhalb der zulässigen Revision, können auch Verfahrensfehler gerügt und Ausführungen zum Vorliegen des minderschweren Falles gemacht werden.
Gegen die wegen Strafvereitelung verurteilten Polizisten steht den Nebenklägerinnen kein Rechtsmittel zu.

 

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