von Johannes Traut (www.juraexamen.info/vg-koblenz-kontrolle-auch-wegen-der-hautfarbe-rechtmasig/)
Heute wurde eine Pressemitteilung des VG Koblenz veröffentlicht, in der von einer brisanten Entscheidung berichtet wird (Urteil v. 28.2.2012 – 5 K 1026/11.KO). Danach dürfen Beamte der Bundespolizei Reisende jedenfalls auf Bahnstrecken, die Ausländern zur unerlaubten Einreise oder zu Verstößen gegen das Aufenthaltsgesetz dienen, verdachtsunabhängig kontrollieren. Es ist ihnen bei Stichprobenkontrollen nicht verwehrt, die Auswahl der anzusprechenden Personen auch nach dem äußeren Erscheinungsbild vorzunehmen.
Dem Urteil lag die “Kontrolle” einer Person durch Beamte der Bundespolizei im grenznahen Bereich zu Grunde. Es ging den Beamten um die Verhinderung der illegalen Einreise von Ausländern. Einschlägig ist damit § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG.
(1) Die Bundespolizei kann die Identität einer Person feststellen
- zur Abwehr einer Gefahr,
- zur polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs,
- im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von dreißig Kilometern zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet oder zur Verhütung von Straftaten im Sinne des § 12 Abs. 1 Nr. 1 bis 4,
- wenn die Person sich in einer Einrichtung der Bundespolizei (§ 1 Abs. 3), einer Anlage oder Einrichtung der Eisenbahnen des Bundes (§ 3), einer dem Luftverkehr dienenden Anlage oder Einrichtung eines Verkehrsflughafens (§ 4), dem Amtssitz eines Verfassungsorgans oder eines Bundesministeriums (§ 5) oder an einer Grenzübergangsstelle (§ 61) oder in unmittelbarer Nähe hiervon aufhält und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß dort Straftaten begangen werden sollen, durch die in oder an diesen Objekten befindliche Personen oder diese Objekte selbst unmittelbar gefährdet sind, und die Feststellung der Identität auf Grund der Gefährdungslage oder auf die Person bezogener Anhaltspunkte erforderlich ist, oder
- zum Schutz privater Rechte.
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Im Grenzgebiet verdachtsunabhängig Kontrollen möglich
Zunächst hat das VG Koblenz eine allgemeine Aussage zur Auslegung des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG getroffen: Reisende dürfen jedenfalls auf Bahnstrecken, die Ausländern zur unerlaubten Einreise oder zu Verstößen gegen das Aufenthaltsgesetz dienen, verdachtsunabhängig kontrolliert werden. Gemeint ist damit, dass keine konkreten Anhaltspunkte erforderlich sind, dass die jeweilige Person tatsächlich illegal eingereist ist.
Dass dies möglich sein muss, folgt aus dem systematischen Vergleich mit den anderen Nummern, wo weitergehende Tatbestandsvoraussetzungen aufgestellt werden. Bei der Nr. 1 etwa bedarf es des Vorliegens zumindest eines Gefahrverdachts, ein “wahloses” kontrollieren kommt nicht in Betracht. Gleiches gilt etwas für Nr. 4 – dort müssen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß dort Straftaten begangen werden sollen. Bei der Nr. 3 werden außer dem beschränkten örtlichen Anwendungsbereich (Grenzgebiet) keine weiteren objektiven Voraussetzungen aufgestellt. “Zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet” stellt lediglich die Zweckrichtung klar.
Auch teleologisch ist das überzeugend, weil der Zweck, die illegale Einreise zu verhindern, nicht erreicht werden könnte, wenn nur bei konkreten Anhaltspunkten kontrolliert werden könnte.
Auswahlkriterien für Kontrolle: Auch die Hautfarbe?
Ausweislich des Wortlautes (“kann”) kommt den Beamten bei der Ausübung der Befugenisse aus § 23 BPolG ein Ermessen zu. Insbesondere bei Abs 1 Nr. 3 beschränkt sich dies im wesentlichen darauf, ob und wer kontrolliert wird. Dazu das VG Koblenz
“Die einschlägigen Vorschriften verpflichteten die Beamten der Bundespolizei, bei einer Kontrolle entsprechende Lageerkenntnisse und einschlägige grenzpolizeiliche Erfahrung zugrunde zu legen. Hierdurch werde willkürliches Vorgehen ausgeschlossen.”
Bei dem Auswahlermessen (“wer wird kontrolliert”) liegt die eigentlich interessante Rechtsfrage des Falls.
Vor Gericht bekundete der handelnde Polizeibeamte, er stelle dann die Identität nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG fest, wenn er die
“Vermutung habe, ein Reisender halte sich möglicherweise illegal auf [. Dann] frage er, wohin der Reisende fahre und bitte um Vorlage von Ausweispapieren. Er spreche dabei Leute an, die ihm als Ausländer erschienen. Ein Kriterium sei hierbei auch die Hautfarbe.”
Ist das eine zulässige Ermessenausübung? Im Klartext: Dürfen Personen dunkler Hautfarbe eher kontrolliert werden als solche mit heller Hautfarbe, wenn es darum geht, Personen zu finden, die illegal eingereist sind? Das VG Koblenz bejaht dies im Ergebnis mit dem Argument, Personen mit dunkler Hautfarbe seien eher Ausländer als solche mit heller Hautfarbe. Deshalb sei es effizienter, Personen mit dunkler Hautfarbe eher zu kontrollieren.
“Aus Gründen der Kapazität und Effizienz sei die Bundespolizei auf Stichprobenkontrollen beschränkt. Deswegen dürften deren Beamte die Auswahl der anzusprechenden Personen auch nach dem äußeren Erscheinungsbild vornehmen.”
Kommentar: Im Einklang mit Art. 3 GG?
Dagegen, dass auch das äußere Erscheinungsbild eine Rolle bei der Auswahl spielt, ist nichts einzuwenden. Das ist der berühmte “kriminalistische Blick”. Zahlreiche Untersuchungen haben belegt, dass geschulte Ermittlungspersonen recht gut darin sind, an Hand des äußeren Gesamtbildes einer Person solche zu identifizieren, die mit dem Gesetz nicht in Einklang stehen. Die darin liegende Differenzierung lässt sich als sachlich gem. Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen.
Sobald aber nach der Hautfarbe differenziert wird, ist man im Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG, denn die Hautfarbe unterfällt dem Begriff der Rasse oder der Abstammung (BeckOK-GG/Kischel, Art. 3 Rn. 202; zumindest in konformer Auslegung mit Art. 14 EMRK dort zur Rasse Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl. 2011, Rn. 21).
Zunächst kann man sich fragen, ob eine Benachteiligung überhaupt vorliegt. Das wird man jedoch bejahen müssen, da Personen mit heller Hautfarbe eher weniger belastenden Verwaltungsakten unterworfen sind. Allgemein gilt: In jeder Ungleichbehandlung liegt auch eine Benachteiligung i.S.d. Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG (sonst könnte wie in den USA früher Segregation mit “separate but equal” Argumentationen begründen, vgl. BeckOK-GG/Kischel, Art. 3 Rn. 190).
Es wird sich auch um eine Differenzierung “wegen” der Rasse handeln, weil unmittelbar (auch) an sie die Entscheidung geknüpft wird, die Person zum Adressat einer belastenden Maßnahme zu machen.
Damit muss die Unterscheidung nach der Hautfarbe nach Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG gerechtfertigt werden. Das stellt eine hohe Hürde dar: Neben kollidierendem Verfassungsrecht kommen hier grundsätzlich auch sonstige, Gewicht und Eigenart des betroffenen Merkmals entsprechende, besonders schwerwiegende Gründe in Betracht; für die Rasse seien jedoch kaum Gründe denkbar (BeckOK-GG/Kischel, Art. 3 Rn. 193f.).
Gerade im vorliegenden Fall ist die Entscheidung jedoch nicht so eindeutig: Letztlich dient die Hautfarbe nur als “proxy Merkmal“, also als Nährungswert für ein dahinterstehendes anderes Merkmal, nämlich die Frage der Aufenthaltsgenehmigung (vgl. MüKoBGB/Thüsing, § 20 Rn. 15). Solche Anknüpfungen lässt man etwa beim Alter zu, wenn die Anknüpfung an das dahinterstehende Merkmal (etwa Erholungsbedürfnis, vgl. dazu jüngst das BAG) nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich ist.
Hinsichtlich des Merkmals Sprache etwa wird man das auch bei Passkontrollen im Grenzbereich gelten lassen müssen; wer Deutsch wie ein Muttersprachler spricht, ist sehr wahrscheinlich auch Deutscher und kann daher aus dem Personenkreis der zu Kontrollierenden ausgeschlossen werden.
Bei der Rasse dagegen ist üblicherweise die Schwelle höher, weil sie ein besonders sensibles Merkmal darstellt. Hier kann man gut auch für die Unzulässigkeit der Differenzierung argumentieren: Insbesondere lässt sich das Argument anführen, dass die allermeisten Menschen dunkler Hautfarbe in Deutschland entweder Deutsche sind oder sich zumindest legal hier aufhalten. Ihnen ist eine “Stigmatisierung” nur schwer zuzumuten.
Zum Schluß: Es war bemerkenswert ehrlich von dem Polizisten, zuzugeben, dass er nach der Hautfarbe differenziert. Aus Sicht des Verfassers spricht das eher gegen eine fremdenfeindliche Einstellung des Polizisten. In jedem Fall hat er so dafür gesorgt, dass sich die Gerichte mit der Frage auseinandersetzen können – und das ist sicherlich gut, denn üblicherweise werden solche Erwägungen wohl eher nicht nach außen gelangen. Justiziabel sind sie dann nicht. Wer also diskriminieren will, wird eher seinen Mund halten.