Die Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt empfiehlt die Dokumentation „Polizeieinsatz in Altona Altstadt: Pfeffer, Knüppel gegen Jugendliche?“, um sich ein Bild von der Situation in Hamburg zu machen. Zu finden ist der kurze Clip von utopietv online unter http://vimeo.com/70399243
Kontrollen, Durchsuchungen, Kameras, Pfefferspray, Gewalt, Ingewahrsamnahmen – die Anwohner_innen in Altona skandalisieren im Video die Zuspitzung rassistischer Polizeigewalt in ihrem Stadtteil. Die Reaktionen von Jugendlichen und die Empörung ihrer Eltern an der Holstenstraße sind nicht, wie der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Gerhard Kirsch meint, Zeichen für eine „verfehlte Integrationspolitik“ [1], sondern Zeichen des Aufbegehrens gegen die alltäglichen Demütigungen, sogenannte verdachtsunabhängige Personenkontrollen, Beleidigungen und Gewalt der Polizei gegenüber People of Colour, kurz: Racial Profiling.
In Berichten der Zeitungen Die Welt und im Hamburger Abendblatt [2] wird der Kriminologe Wolf Kemper zitiert. Er meint: „Bei solchen jungen Männern besteht oft eine Unzufriedenheit darüber, dass sie in einer Umgebung leben, in der andere die Normen und Werte bestimmen. Die Polizei ist bei solchen Gruppen oft Feindbild, weil sie als Machtinstrument der Anderen gilt.“ Die jahrelange Arbeit von KOP und die dokumentierten Fälle in Berlin lehren uns, dass es sich genau anders herum verhält: Die Polizei ist es, die „solche jungen Männer“ zu „Anderen“ macht, indem sie nach rassistischen Kriterien kontrolliert. Die Skepsis und Wut gegenüber der Polizei ist die Folge einer ständigen Verdächtigung und Kriminalisierung durch die Polizei. Ein Vater eines betroffenen Jugendlichen fasst die Sicht der Polizei in der Dokumentation zusammen: „Jeder Jugendlicher, der hier spazieren geht, ist verdächtig und schuldig.“
Der Kriminologe Wolf Kemper meint über die Betroffenen: „Ein oft nichtiger Anlass gibt den Grund, um latente Aggression zu entladen.“ [2] Als Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt wollen wir hiermit klarstellen: Racial Profiling ist kein Kavaliersdelikt. Racial profiling ist rassistische Polizeigewalt und rassistische Polizeigewalt darf nicht weiter verharmlost werden.
Dass die Polizei an bestimmte Orten, die sie selbst als gefährlich definieren, People of Colour gezielt zur Kontrolle rausgreift, bestätigt bei Nicht-Betroffenen das Bild, dass die Kontrollierten bestimmt etwas verbrochen haben, da sie ja kontrolliert werden. Und so werden in den meisten Artikeln auch jetzt die Opfer von Racial Profiling nur als Täter gezeigt, als Kriminelle, als Randalierer, als Mob. Was ein Jugendlicher in der Dokumentation von utopietv feststellt, scheint schon fast in den Hintergrund zu geraten: „Das ist ein Fehlverhalten der Polizei. Sie kontrollieren uns jeden Tag.“
Anstatt vermeintliche Experten zu Wort kommen zu lassen, sollten die Medien über die Hintergründe der Auseinandersetzungen berichten. Nachdem ein großer Teil des Hamburger Schanzenviertels seit dem 1. Juni 2013 durch die Polizei zum „Gefahrengebiet“ [3] erklärt wurde, um dort sogenannte verdachtsunabhängige Personenkontrollen zur Bekämpfung des Verkaufs von Cannabis durchführen zu können, befürchtet ein Anwohner diskriminierende Polizeikontrollen im Schanzenviertel [4] – zu Recht. Denn die Geschichte des Viertels zeigt, dass Verdrängung(sversuche) und Rassismus immer eng verbunden waren. Bereits 1999 beteiligten sich 300 Menschen an einem Aktionstag gegen die Repression und den Rassismus gegen angebliche oder tatsächliche Drogendealer [5]. Denn auch von 1997 bis 2009 – also zwölf Jahre lang – war die „Sternschanze“ „Gefahrengebiet“, in dem rassistische Kontrollen ungestraft stattfinden konnten [6].
Ein paar hunderte Meter vom gerade erneut zum „Gefahrengebiet“ erklärten Schanzenviertel entfernt in der Holstenstraße geht die Polizei am 10. und 11. Juni 2013 nun brutal gegen einzelne Jugendliche und junge Männer in Gruppen vor. Die taz zitiert einen Anwohner: „Wir haben Schulferien, es gibt keinen Jugendtreff und das Schanzenviertel ist Gefahrengebiet – wo sollen wir denn sonst hin“[7]. Ein junger Mann kritisiert: „Wir haben das Gefühl, dass man in Altona aufräumen will.“[8]
Wer über die gegenwärtigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Anwohner_innen in Altona spricht, muss auch über die Stigmatisierung von ganzen Stadtteilen, über rassistische Polizeigewalt und ihre gesetzlichen Grundlagen sprechen. Erneut zeigt sich: Das Instrument der verdachts- und anlassunabhängige Kontrollen muss abgeschafft werden. Eine unabhängige Stelle für Dokumentation und Aufklärung über rassistische Polizeigewalt ist nötig.
[1] http://www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/ID/267C6D4C0AB22D20C1257BA9003206C9?Open
[2] http://www.welt.de/print/die_welt/hamburg/article118037229/Wieder-schwere-Krawalle-in-Altona.html, http://www.abendblatt.de/hamburg/polizeimeldungen/article118049835/Gewerkschaft-sieht-Ursache-in-verfehlter-Integrationspolitik.html
[3] http://www.grundrechte-kampagne.de/aktuelles/gefahrengebiet-im-schanzenviertel
[4]http://www.mopo.de/nachrichten/das-sagen-bewohner-zum-neuen-polizeirecht-so-lebt-es-sich-im–gefahrengebiet–sternschanze,5067140,23220984.html
[5] http://www.mpz-hamburg.de/archiv/schanzenfilm/film.html
[6]http://www.grundrechte-kampagne.de/content/sternschanze
[7] http://www.taz.de/Anwohner-beklagen-Polizeigewalt/!119806/
[8] http://www.mopo.de/polizei/reaktionen-im-video-gewalt-in-altona–massenkrawalle-nach-polizeieinsatz-,7730198,23694918.html
weitere Presse
http://taz.de/Eskalation-in-Hamburg-Altona/!119872/