Racial Profiling„Wie könnten wir es akzeptieren, diese unseren Mitmenschen der Gewalt unsrer Polizei nackt und homines sacres zu überliefern? „

Die alten neuen Zielscheiben des deutschen Rassismus sind Menschen aus Rumänien und Bulgarien, vor allem die Rom_nija-Bevölkerung aus diesen Ländern. Ihre öffentliche Demütigung und Dämonisierungist „notwendig“, um die rassistische Politik der BRD und die damit einhergehende Hetzkampagne zu legitimieren.
Wir veröffentlichen hier den Brief eines mutigen und aufmerksamen Menschen, der seine Wut und Empörung darüber dokumentiert.

 

Berlin, den 9. November 2013

Sehr geehrte Frau Dr. Högl,

Gestern, am 8. November, zwischen 14 Uhr und 14 Uhr 30, bin ich im Zentrum von Berlin, an der Kreuzung der Dorotheen- und der Friedrichstraße, Zeuge einer Szene von solcher Gewalt gewesen, daß ich es sofort als meine innigste Pflicht empfunden habe, legalen Vertretern der demokratischen Behörden davon in Kenntnis zu setzen. Da in diesem Falle die Polizei selbst die erwähnte Gewalt ausgeübt hat, kann ich mich naturgemäß als Zeuge nicht an sie wenden – deshalb wende ich mich an Sie.
Es geht um vier jugendliche Mädchen, vermutlich rumänischer Herkunft, die von vier Polizisten in Zivil gegen das Schaufenster eines Ladens gehalten worden sind – eine halbe Stunde lang, verhaftet, manche mit angelegten Handschellen und in demütigender Haltung. Eine der vier Polizisten trug ärztliche Plastikhandschuhe dabei, um den Kontakt mit den Haaren des Kindes zu vermeiden. Das jüngste der vier Mädchen dürfte nicht älter als 11 oder 12 Jahre alt gewesen sein.  
Die Erklärung, die diese Polizisten den Passanten für ein solches Umgehen vorgaben, war, daß diese jungen Mädchen Waren in einem Laden gestohlen hätten, was ich hier nicht widerspreche (Einer sprach von „Handys“). Aber es ist mir nach einem kurzen Gespräch mit den Polizisten klar geworden, daß diese Verhaftung tatsächlich nicht die einfache Folge eines banalen festgestellten Diebstahls sein konnte: Wäre es der Fall gewesen, wäre die Polizei von Angestellten des Ladens angerufen worden und dann wären, wenn nötig, normale Polizisten eingegriffen: normale Polizisten, das heißt Polizisten in Uniform, wie es in einer Demokratie üblich ist (abgesehen – selbstverständlich – von Terrorismus-Untersuchungen und Gegenspionage gegen das Ausland…). Ich habe aber fotographische Aufnahmen dieser Szene gemacht, die trotz ungenügender Schärfe deutlich beweisen können, daß es sich in diesem Falle weder um Terroristen noch um Spionen des Auslandes handelte, sondern lediglich um Kinder – höchstens um (eher sympathisch wirkende) enfants terribles… Das Eingreifen solcher Sondersektionen der Berliner Polizei gegen das Stehlen von Handys durch Jungendliche erscheint zuerst nur lächerlich und grotesk. Es wirkt aber auf den zweiten Blick abject-niederträchtig, wenn man begreift, daß das Ziel dieser Sektionen nicht im Ernst die Bekämpfung des Diebstahls sein kann, und daß diese Sektionen dementsprechend ein völlig anderes Ziel verfolgen. Werden in Deutschland deutsche, französische bzw. englische Jugendliche und Kinder nach einem Diebstahl so behandelt? Natürlich nicht. Der Diebstahl muß hier lediglich als Vorwand dienen. Vor allem kann dadurch der einfache Bürger auf der Straße, der sich vielleicht gegen offensichtlich rassistische Sondermethoden hätte empören können, beruhigt seinen Weg weiterlaufen: hier werden nur Diebe verhaftet, weiter nichts – wird es ihm gesagt… Nichts schlimmes, Diebstahl nur, gehen Sie ruhig Ihren Weg…    
Ich habe genügend lange mit einem dieser Polizisten sprechen können, um etwas besser erraten zu können, wie diese Sonderpolizisten, als „normale“ Leuten verkleidet, mit solchen neuen Aufgaben umgehen, welche Methoden sie jetzt auch gegen Minderjährigen verwenden. Ich bin bereit, vor Ihnen zu erscheinen und meinen Bericht, auf eventuellen Fragen Ihrerseits, zu ergänzen. Ich würde auch natürlich die Bilder, die ich gemacht habe, wenn sie sich nützlich erweisen könnten, zur Verfügung stellen.

Die demokratische Vertretung soll unbedingt und dringend ihre Polizei wieder unter Kontrolle stellen. Wenn das ihr aus irgendwelchen Gründen nicht mehr möglich ist, wird sie uns – einfachen Bürgern der Demokratie, einfachen Passanten der Stadt, einfachen Menschen dieser Welt – in der Not das Recht hinterlassen sollen, selbst und unvorbereitet gegen diese gewalttätigen Handlungen einzugreifen (und mit Gewalt, wenn es nicht anders geht). Wie könnten wir es akzeptieren, diese unseren Mitmenschen der Gewalt unsrer Polizei nackt und homines sacres zu überliefern? Ich bin gestern selber nicht eingegriffen: 1° weil ich nicht den Mut gehabt habe? Es ist wohlmöglich (ich bin eher schwächlicher Konstitution; und ich war diesmal so allein; und diese Leute waren sicherlich gut bewaffnet); oder 2° weil ich eine Hoffnung hegen wollte, daß die Behörden der Demokratie noch imstande sind, die Gewalt ihrer Polizisten wieder unter Kontrolle zu bringen? Ja, auch, bestimmt: Deshalb dieser Brief an Sie, mit der dringenden, innigsten Bitte, daß Sie eine Untersuchung gegen die neuen Methoden dieser Sondersektionen von Polizisten in Zivil sofort in Gang setzen.
 
Sie verstehen, daß in einem solchen Kontext, und weil in Berlin solche Szenen immer wieder vorkommen können, ich mit einer gewissen Ungeduld auf ihre Antwort warten muß. Dieser Brief ist keinesfalls Ausdruck einer Empörung oder einer sog. indignaciòn. Entscheidend ist deshalb Ihre Antwort, weil sie aus den obenerwähnten Gründen sehr konkret mein künftiges Verhalten in einer solchen Situation bestimmen wird. So unvorbereitet ist man nur das erste Mal und allein ist man nicht immer.     
Da ich französischer Herkunft bin, ergänze ich meinen Brief mit der Bemerkung, daß solche Erscheinungen keinesfalls spezifisch deutsche sind und, daß das Datum des heutigen Tages als reiner Zufall gelten muss: Die französische Polizei verwendet jetzt ähnliche Methoden – auch gegen Kinder.
Es geht nicht um die Gefahr des alten Faschismus: sondern um die Anwendung totalitärer polizeilicher Methoden innerhalb einer Demokratie. Bei der Roma-Frage sieht sich vielleicht zum ersten Mal in einer solchen Schärfe die europäische Union mit ihrer eigenen Identität, mit ihrer eigenen Wahrheit konfrontiert. Dort, am Schaufenster dieses Ladens, Köpfe der rumänischen Kinder gegens Glas. Gemeinsamer Markt. Plastikhandschuh auf das dunkle Haar.    
 
Wenn ich heute Abend den Zug der Demonstration, dem ich in der Turmstraße begegnete, vorbeilaufen ließ, ohne mich anzuschließen, ist es nicht, weil ich selber das Andenken dieser Nacht nicht teilen wollte: im Gegenteil. Mir schien aber heute ein bloßes Marschieren durch die Stadt, übrigens brav begleitet von Polizisten, deren Kollegen sich am vorigen Tag so verhielten, plötzlich vollkommen unmöglich. Es ist nicht mehr Zeit für Demonstration, dachte ich. Sich erinnern ist unheimlich wichtig: aber das Erinnern verlangt vielleicht etwas mehr als ein Demonstrieren (auch als Demonstration von den besten Gefühlen). Es verlangt in der Tat unendlich vielmehr.
 
 

Mit freundlichen Grüßen,

Florent H.

PS. Der vorliegende Brief wurde an die folgenden gewählten Mitglieder des Bundes- und Landtages gesendet:
    1°) an die zwei andere Bundestagabgeordneten für den Wahlkreis Berlin-Zentrum: Herr Dr. Philipp Lengsfeld und Herr Özcan Mutlu.
    2°) an die Abgeordneten im Landtag von Berlin :
        – Wahlkreis Mitte 2 (Mitte-Friedrichstraße): Frau Carola Bluhm
        – Wahlkreis Mitte 4 (Moabit-Turmstraße) : Herr ?lkin Öz???k
    

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