UncategorizedPM: Die Betroffenen der Keupstraße ergreifen das Wort – und werden erneut verunglimpft

11. Februar 2015by KOP Importer0

11.02.2015

Die Initiative „Keupstraße ist überall“ und das bundesweite Aktionsbündnis „NSU-Komplex auflösen“ weisen die jüngsten Diffamierungen
durch einige MedienvertreterInnen zurück, die sich gegen Betroffene der Nagelbombe in der Kölner Keupstraße und einige NebenklägerInnen im
NSU-Prozess richten. Es wird versucht, den Betroffenen des Mordanschlags das Recht abzusprechen, die rassistische Tat anzuklagen. Dieses Recht
ist aber nicht verhandelbar. Wir lassen nicht zu, dass die Betroffenen des Neonazi-Terrors in Opfer erster und zweiter Klasse gespalten werden.

Zum Hintergrund: Am 20. Januar dieses Jahres erhoben die Betroffenen des NSU-Nagelbombenanschlages in der Kölner Keupstraße ihre Stimme.
Gemeinsam mit der Initiative „Keupstraße ist überall“ und einem bundesweiten Bündnis forderten sie auf einem Aktionstag vor dem
Oberlandesgericht in München die vollständige Aufklärung des NSU-Komplexes. Sie berichteten von dem terroristischen Anschlag des
Neonazi-Netzwerks NSU im Jahr 2004 und von den unmittelbaren Verwüstungen und Verletzungen, die diese Bombe angerichtet hatte. Aber
auch im Gericht versuchten sie als Zeugen und Zeuginnen deutlich zu machen, dass die Bombe nur der Anfang eines jahrelangen Leidenswegs war,
der seine Fortsetzung in Verdächtigungen, Bespitzelungen und Verhören durch die ermittelnden Behörden nahm. Für die Polizei war es ausgemachte
Sache, dass die Täter im „migrantischen Milieu“ zu finden seien. Bis zur Selbstenttarnung des NSU im Jahr 2011 wurden die Opfer wie Täter
behandelt. Sie wurden vielfältigen Unterstellungen ausgesetzt, die allesamt die Grundannahme teilten, dass die türkisch geprägte
Nachbarschaft der Keupstraße eine undurchdringliche, verschworene und kriminelle Parallelwelt sei.

Der Anschlag nach dem Anschlag

Auch die Presse hat dieses Bild maßgeblich mitgestaltet und verbreitet. Prominent dabei war auch die Zeitschrift Der Spiegel, die noch im
Februar 2011 unter dem Titel „Düstere Parallelwelt“ zu berichten wusste, dass man zwar immer noch nicht wisse, wer hinter der Mordserie an den
neun ausländischen Gewerbetreibenden stecke, allerdings gewiss sei, dass der Täter aus dem „migrantischen Milieu“ stamme (21.2.2011). Diese
Diffamierungsgeschichte war für die Betroffenen aus der Keupstraße mit dem Schrecken des Bombenanschlags untrennbar verflochten und stellte
dessen Fortsetzung dar; für sie war es der Anschlag nach dem Anschlag.

Betroffene können Hinweise zur Aufklärung des NSU-Komplexes liefern

Diesem Zusammenhang wurde vom Gericht bisher keine Bedeutung zugemessen. Deswegen artikulierten die Betroffenen auf dem Aktionstag vor dem
Gericht die Erfahrung von rassistischer Schikane und Drangsalierung. Sie machten auf die Verwicklung von Geheimdiensten und Neonazi-Strukturen
sowie die Bedeutung von institutionellem Rassismus aufmerksam. Die Betroffenen erläuterten, dass sie nicht nur von Neonazis angegriffen,
sondern auch von Behörden und Teilen der Öffentlichkeit als Problem angesehen und entsprechend attackiert wurden – teilweise bis heute. Der
Aktionstag war in diesem Sinne ein voller Erfolg, weil die öffentliche Aufmerksamkeit und Anteilnahme für die leidvollen Erfahrungen der Opfer
der Nagelbombe sehr hoch war. Endlich konnten die Betroffenen ihre Geschichte ungestört einer medialen Öffentlichkeit berichten, ohne
unterbrochen und gemaßregelt zu werden. Es wurde deutlich, dass die Betroffenen ExpertInnen in der Einschätzung rassistischer Verhältnisse
sind, und ihre jahrzehntelangen Erfahrungen Hinweise zur Aufklärung des NSU-Komplexes liefern können.

Reaktion auf das Ausbrechen aus der zugewiesenen Opferrolle

Noch während des Aktionstages und in den Tagen danach verschärfte sich allerdings der Ton des Gerichts. Viele ZeugInnen fühlten sich vom
Gericht mit seinem Vorsitzenden Richter Götzl wie Angeklagte behandelt. Unwirsch versuchte er sie in Widersprüche zu verwickeln und ließ
jegliche Form eines sensiblen Umgangs mit diesen zum Teil noch stark traumatisierten Menschen missen. Die ZeugInnen aus Köln, die
gleichzeitig auch als NebenklägerInnen auftreten, wurden mitunter wie Verdächtige behandelt. Diesen Umgang verstehen wir als eine Reaktion auf
das Ausbrechen dieser Menschen aus der ihnen zugewiesenen Rolle.

Zwei Artikel auf Spiegel Online vom 22.1. und 28.1.2015 und andere Medienberichte gingen einen Schritt weiter und kehrten in eingeübter
Manier Opfer in Täter um. Erneut wurden die migrantischen Betroffenen unglaubwürdig gemacht und auf einen gesellschaftlichen Platz verwiesen,
an dem sie passiv und stumm verharren sollen. Statt auf das Unrecht einzugehen, das den Opfern des Nazi-Terrors zugefügt wurde, berichtete
die Spiegel-Journalistin Gisela Friedrichsen von zerstrittenen Anwälten, erfundenen Opfergeschichten und unrechtmäßiger Beteiligung verschiedener
NebenklägerInnen. Damit unterstützt Der Spiegel das Störfeuer der Verteidigung von Beate Zschäpe. Am Tag nach der Veröffentlichung
beantragte die Verteidigung, NebenklägerInnen aus der Keupstraße und engagierte Anwälte vom Prozess auszuschließen. Die anklagenden
Betroffenen sollen in die Defensive gedrängt werden.

Rassisten nicht in die Karten spielen

Damit führten Der Spiegel und ihn flankierende Medien eine schlechte Tradition weiter, in der Opfer von Rassismus verdächtigt und
verunglimpft werden, wie es auch in der Keupstraße in den Jahren 2004 bis 2011 geschah. Statt endlich das ausgedehnte Netzwerk des NSU zu
recherchieren, das sich gerade in dem Anschlag in der Kölner Keupstraße andeutet und das bis heute im Verborgenen gehalten wird, greift Der
Spiegel mit Falschdarstellungen voller Ressentiments erneut die Opfer an. Er bedient weiterhin das Bild der „gefährlich Fremden“ und damit den
Diskurs der Straßenrassisten von Pegida und Co. Dieses Vorgehen erfordert eine entschiedene gesellschaftliche Antwort.

Unterzeichner/innen aus dem

Bundesweiten Aktionsbündnis „NSU-Komplex auflösen“

Initiative „Keupstraße ist überall“, Köln
Initiative 6. April, Kassel
Initiative „Das Schweigen durchbrechen“, Nürnberg
Bündnis gegen Rassismus, Berlin
Allmende e.V. – Haus alternativer Migrationspolitik und Kultur, Berlin
Antirassistische Initiative Berlin e.V.
Bündnis gegen Naziterror und Rassismus, München

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