PRESSEMITTEILUNG
Göttingen/Berlin, den 21.02.2018
Heute veröffentlichte der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg
mit Sitz in Mannheim in zweiter Instanz das Urteil (Az.: 1 S 1469/17) zu
einem weiteren Fall von ‚racial profiling‘. Ein Deutscher mit dunkler
Hautfarbe war während einer Geschäftsreise im Zug zwischen Baden-Baden
und Offenburg von Bundespolizeibeamten einer „verdachtsunabhängigen“
Personenkontrolle unterzogen worden. Die äußeren Umstände der Kontrolle
lassen den Schluss zu, dass der Kläger nur wegen seiner Hautfarbe
kontrolliert wurde. Mit den heute veröffentlichten Urteilsgründen hat
der Verwaltungsgerichtshof allerdings nun sogar die langjährige
Kontrollpraxis der Schleierfahndung durch die Bundespolizei der Jahre
2008-2016 insgesamt für unvereinbar mit dem Europarecht erklärt und
damit Millionen Kontrollen die Rechtsgrundlage entzogen.
Im November 2013 war der Kläger in der ersten Klasse eines ICE beruflich
von Berlin nach Freiburg unterwegs. Zwischen Baden-Baden und Offenburg
wurde er von drei Bundespolizeibeamten einer vermeintlich
verdachtsunabhängigen Personenkontrolle unterzogen. Der Kläger legte
seinen deutschen Personalausweis vor. Außer ihm wurden im Sichtfeld des
Klägers keine weiteren Personen kontrolliert. Er klagte daraufhin vor
dem Verwaltungsgericht Stuttgart (Az.1 K 5060/13) mit dem Ziel
feststellen zu lassen, dass es sich bei der Kontrolle um eine
grundrechtswidrige Diskriminierung aufgrund seiner Hautfarbe handelte.
Die Kontrolle war im gerichtlichen Verfahren mit der Regelung in § 23
Abs. 1 Nr. 3 des Bundespolizeigesetzes (BPolG) – der so genannten
Schleierfahndung – begründet worden. Mit Urteil vom 22.10.2015 hatte das
Verwaltungsgericht Stuttgart diese Rechtsgrundlage im
Bundespolizeigesetz bereits als europarechtwidrig eingestuft (Az.: 1 K
5060/13). Die Bundespolizei war hiergegen in die Berufung gegangen.
Nachdem in einem parallelen Fall der Gerichtshof der Europäischen Union
in einem Vorabentscheidungsersuchen (Rs. C-9/16) festgestellt hat, dass
der fragliche § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG für sich genommen nicht den
Anforderungen des Unionsrechts genügt und weiterer Konkretisierungen
bedarf, fand am 13.02.2018 die Berufungsverhandlung vor dem VGH
Baden-Württemberg in Mannhein (Az.: 1 S 1469/17) statt. Zwischenzeitlich
legte die Bundespolizei eine bis dato geheim gehaltene
Verwaltungsvorschrift (BRAS 120) vor, die die Kontrollbefugnisse
konkretisieren sollte.
Der VGH Mannheim hat mit heute übermitteltem Urteil entschieden, dass
die rechtliche Grundlage, auf die die Bundespolizei die grenznahe
Schleierfahndung jedenfalls bis in das Jahr 2016 hinein gestützt hat,
gegen die Vorgaben des Schengener Grenzkodex verstößt. Die rechtlichen
Voraussetzungen, insbesondere in der BRAS 120, seien zu unbestimmt
formuliert; auf vermeintlich konkretisierende aber weitestgehend geheim
gehaltene Verwaltungsvorschriften könne die Schleierfahndung ohnehin
nicht gestützt werden. Das Gericht hat damit der ständigen Praxis der
sog. Schleierfahndung und Millionen Kontrollen im Grenzgebiet
nachträglich die Rechtsgrundlage entzogen. Im Ergebnis offen ließ das
Gericht hierdurch allerdings, ob die unionsrechtswidrige Kontrolle des
Klägers aufgrund seiner Hautfarbe auch gegen das Diskriminierungsverbot
des Grundgesetzes (Art. 3 Abs. 3 Satz 1) verstoßen hat.
RA Sven Adam ist Prozessbevollmächtigter des Klägers; das Büro zur
Umsetzung für Gleichbehandlung hat den Kläger juristisch unterstützt.
Die Forderung des Gerichtes nach einer öffentlich zugänglichen und
hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage wird nach deren
Einschätzung bereits der Gefahr vorurteilsgeleiteter Polizeikontrollen
entgegenwirken.
„Dieses Verfahren ist ein weiterer bedeutender Schritt, um
diskriminierenden Kontrollen die rechtlichen Grundlagen zu entziehen.
Sollte die Bundespolizei für die Zukunft nun mit neuen und vor allem
öffentlichen Verwaltungsvorschriften nachbessern, werden wir auch diese
einer verwaltungsgerichtlichen Klärung zuführen, um letzten Endes die
Praxis des ‚racial profiling‘ insgesamt durch das
Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen zu können.“ kommentiert
Rechtsanwalt Sven Adam die Entscheidung des VGH.
Alexander Tischbirek vom BUG e.V. äußerte: „Das heutige Urteil hat
deutlich gemacht, dass die rechtlichen Voraussetzungen von
verdachtsunabhängigen Personenkontrollen präzise definiert werden
müssen. Dies hilft nicht nur, Verstöße gegen den Schengen Grenzkodex zu
vermeiden, sondern es beugt auch ‚racial profiling‘ und somit
institutionellem Rassismus in der Polizeiarbeit vor.“
Seit 2011 werden Klagen mit der Unterstützung des BUG bei
Verwaltungsgerichten vorgelegt. Diese hinterfragen die Praxis des
‚racial profiling’, verdachtsunabhängiger Personenkontrollen, die
aufgrund phänotypischer Merkmale wie der Hautfarbe durchgeführt werden.
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