Am 20.05.2010 wurde die Verhandlung gegen die Berliner Polizeibeamten wegen des Todes von Dennis aus Neukölln fortgesetzt. Wieder waren Freunde und Familie von Dennis zahlreich erschienen, aber auch Unterstützer_innen und Presse waren anwesend. Der Vernehmungsmarathon von sechs Stunden wurde begleitet durch Zwischenrufe der Empörung, Wut und Fassungslosigkeit aus dem Publikum.
„Es hat keiner geholfen!“
Den gesamten Tag über wurden vorwiegend junge Menschen durch das Gericht befragt. Die Geschwister Antonia und Ariana S., 15 und 16 Jahre alt, machten erschütternde Aussagen. Nicht nur, dass die Mädchen der Notwehrtheorie des Angeklagten Schützen Reinhard R. widersprachen, indem sie aussagten, dass der erste (tödliche) Schuss abgegeben wurde, noch bevor Dennis das Auto gestartet hatte (eine Aussage, die später durch einen weiteren Zeugen bestätigt wurde). Beide Mädchen sprachen auch davon, dass keiner der Polizeibeamten Dennis geholfen hatte, nachdem er in einer Reihe von parkenden Autos zum Stehen kam. Als die beiden Mädchen zum verunglückten Wagen laufen wollten, wurden die durch einen Beamten angehalten, der ihnen aggressiv und einschüchternd zu verstehen gab, dass sie „nichts gesehen“ hätten. Antonia holte ihre Mutter, die daraufhin geistesgegenwärtig einen Bekannten, der als Sanitäter arbeitete, alarmierte. Erst er leitete die Wiederbelebungsversuche von Dennis ein.
Beide Mädchen zeigten sich zutiefst erschrocken über den Umgang der Polizei mit ihnen und dem tödlich verletzten Dennis. Mehrmals brachen sie in Tränen aus. Doch auch die Rolle der Presse kritisierten die Mädchen stark. So waren sie es, die ihre Mutter baten, nach tagelangen kriminalisierenden Meldungen über Dennis eine Gegendarstellung zu veranlassen, um „die Wahrheit“ über das Geschehene ans Licht zu bringen. Auch beteuerten beide Mädchen, dass sie fast niemanden auf der Straße gesehen hätten, geschweige denn jemanden haben böllern hören. Diese Aussage wurde auch von den vier nachfolgenden Zeug_innen bestätigt. Damit wären die Einlassungen der Angeklagten Olaf B. und Heinz S., die die Schüsse auf Dennis durch ihren Kollegen aufgrund von massiven Silvesterböllergeräuschen nicht wahrgenommen haben wollen, als Lügen bestätigt.
„Ich bin ein bisschen misstrauisch über das Zustandekommen dieser polizeilichen Protokolle.“
Zu dieser Einschätzung kam der vorsitzende Richter, nachdem einige der Zeug_innen Aussagen aus ihren polizeilichen Vernehmungen nicht wiedererkannt hatten. Der Zeuge K., ein junger Mann von 20 Jahren, war durch sein hervorragendes und präzises Erinnerungsvermögen aufgefallen. Er konnte, wie Antonia und Ariane S. auch, den Polizeieinsatz in der Silvesternacht 2008 gut beobachten. Auch er hatte sich noch am Tatort als Zeuge zur Verfügung stellen wollen, auch er wurde rabiat und aggressiv durch die Polizisten abgewiesen. Und wie bei den beiden Mädchen zuvor, berichtete auch er von den oberflächlich wirkenden Erstvernehmungen. Wie Ariana S. war er sicher, dass bestimmte Passagen aus den polizeilichen Vernehmungsprotokollen nicht von ihm stammten. So hatte er auch gar nicht erst das Protokoll unterschrieben, ein Aspekt, der auch für die letzte befragte Zeugin zutraf. Sie war diejenige Anwohnerin, in dessen Gartenzaun Dennis auf seiner Unfallfahrt fuhr.
Nebenklagevertreter zu Vorbesprechung nicht eingeladen
Im Laufe des Tages wurde ein weiteres pikantes Detail öffentlich: vor Prozesseröffnung hatte ein Treffen zwischen vorsitzenden Richtern, Staatsanwälten und den Rechtsanwälten der Anklage stattgefunden, in denen Themen wie die Auswahl der Sachverständigen, der zu ladenden Zeug_innen etc. besprochen wurden. Das Gericht konnte auf Nachfrage keinen plausibel erscheinenden Grund anführen, warum ausschließlich die Nebenklagevertreter nicht eingeladen worden waren. Mehr noch: die Dokumentation dieser Vorabsprachen waren den Nebenklagevertretern nicht zugänglich gemacht worden, obwohl sie Bestandteil der Prozessakte waren. Nach heftigen Protesten seitens der Nebenklage entschuldigte der Richter sich für sein Versäumnis und versprach, die Aktenteile noch am gleichen Abend zur Verfügung zu stellen. Die Vernehmungsbeamten, an deren Protokollinhalte sich so viele Zeug_innen nicht erinnern konnten, werden nun vor Gericht aussagen müssen.
Insgesamt hat dieser zweite Prozesstag ein beunruhigendes Gefühl hinterlassen: der Eindruck, dass Zeug_innen am Tatort eingeschüchtert, Vernehmungen schlampig durchgeführt, Protokolle gefälscht, Prozessteilnehmende in Personen der Nebenklage zu Vorabsprachen nicht eingeladen und Teile von Prozessakten nicht zugänglich gemacht wurden, erschüttert jegliches Vertrauen in einen fairen Gerichtsprozess. Es bleibt zu hoffen, dass das Gericht sich nicht zum Handlanger eines polizeilichen Systems macht, das partout nicht die Verantwortung für die Fehler ihrer Beamten zu übernehmen bereit ist.